Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
Vom Netzwerk:
frei wählen. Als er noch näher
trat, sah Julius, dass sich jemand für die Quetsch-Variante entschieden hatte.
Aus gutem Grund. Schließlich ging es darum, ein rund vierzehn Kilo schweres
Stück Fleisch samt Knochen und Fell zu zermahlen. Siggis Cockerspaniel Moritz
hing grotesk verdreht im Einfülltrichter der Maschine. Sein schönes
dreifarbiges Fell war an vielen Stellen gerissen und mit Blut durchtränkt. Er
war zu rund einem Drittel in die Maschine gezogen worden, Hinterläufe und
Schwanz waren nicht mehr zu sehen. Der Hund musste sehr gelitten haben, bis die
Maschine ob des großen Stücks ins Stocken geraten war. Moritz schaute in
Richtung Julius. Ein vorwurfsvoller Blick aus den treuen Augen. Sie waren
glasig und leblos. Julius übergab sich.

IX
    »Schlachtplatte für zwölf Personen«
    Die Nacht war noch nicht vorbei. Als er zu Hause ankam,
saß auf den Stufen zur Tür ein alkoholgetränkter Oberkellner. Er sagte etwas.
Es klang wie »Hallavam gniopr Tstu!«
    Aber Julius konnte sich auch verhört haben.
    Franz-Xaver, eingerollt in seinen Mantel wie ein Igel in Laub,
bewegte sich langsam, um ein zerknittertes Blatt Papier von irgendwo aus seinem
Igelinneren zu holen. Schlingernd reichte er es Julius.
    »S Kndnung!«
    Julius nahm das Blatt. Es war so mit Rotweinflecken übersät, dass
der Eindruck entstand, es handele sich um ein gedrucktes Muster. Der Text war
handschriftlich verfasst. Nun hatten Kellner von Geburt an eine Schreibe, gegen
die der Enigma-Code wie die Einstiegsübung für Analphabeten aussah. War der
Schreiber zudem noch betrunken, konnte selbst die Berufsgenossenschaft der
Kellner, Ober & Köbese den Buchstabensalat nicht entziffern. Julius
schaffte es, ein Datum ausmachen. Es schien das heutige zu sein. Und er konnte
ein Wort erkennen, das Franz-Xaver in Großbuchstaben gesetzt, zweifach unterstrichen
und mit fünf Ausrufezeichen – eins größer als das andere – versehen
hatte. Das Wort hieß Kündigung.
    »S tut mir s Lei!«, kam von dem sternhagelvollen Igel, der sich
anschickte, zu einem anderen Platz auf dieser traurigen Erde zu kriechen.
    Julius half ihm auf. »Komm erst mal rein, dann …«, er
überlegte, aber es fiel ihm kein besseres Wort ein, »… dann reden wir weiter.«
    Drinnen angekommen holte er einen Waschlappen, machte ihn nass und
fuhr Franz-Xaver damit durchs Gesicht. Das wirkte sich positiv auf dessen
Sprachfähigkeit aus.
    »Dnke, Julus! ‘tschuldigung, dassich so platze!«
    Das, dachte Julius, würde er bei aller Freundschaft nicht
entschuldigen. Reinplatzen ging aber in Ordnung. Er nahm die Kündigung und riss
sie in ordentliche quadratische Schnipsel, die er auf den Wohnzimmertisch
rieseln ließ.
    »Hier wird nicht gekündigt!«
    »Dubis su gut mir! Su gut!«
    Eine warme Hühnerbrühe würde Franz-Xaver wieder auf die Beine
bringen. Julius hatte immer etwas Fond in der Küche, falls mal eine Erkältung
im Anmarsch war. Der Igel schlürfte sie lautstark. Nach dieser Kräftigung
rollte er sich vollends auseinander und saß fast so gerade wie ein richtiger
Mensch.
    »S tut mir Leid, Julus! Unser Streit! Su was darf mir net passieren!
Des war so … unprofessorell! Du has einen besseren Maître d’hôtel
verdient, einen viel besseren, weißt!«
    »Aber ich hab nun mal dich, und einen Besseren kann ich mir nicht
leisten!« Er grinste.
    Franz-Xaver musste auch grinsen. »Du Sauhund!« Er stand klapprig
auf, um sich im Badezimmer Wasser ins Gesicht zu spritzen. Erst bei seiner
Rückkehr fielen Julius die zwei Flaschen auf, die in den Seitentaschen von
Franz-Xavers Mantel steckten.
    »Was hast du denn vernichtet? Oder sollte ich besser fragen, was hat dich vernichtet?«
    Franz-Xaver zog seine beiden Begleiter heraus. Er wirkte jetzt
deutlich klarer. Sein Gesicht war noch feucht vom Wasser.
    »Zuerst hab ich mir ganz, gaaanz stilvoll eine von mein Flaschen 82er Comtesse gegönnt. Ich wollt feierlich die
Kündigung schreiben, mit großer Gesten untergehen, net wahr. Große Gesten! Und
dann hab ich mit einer halb vollen Flaschen Lagavulin, des war sogar eine
Distillers Edition, nachgelegt. Die hat mir dann in einem Vier-Augen-Gespräch
auch gesagt, es wär eine prima Idee, dir die Kündigung noch heut Nacht zuzustellen.«
    »Ist noch was davon da?«
    »Na, die desinfiziert jetzt meinen Magen.«
    »Schade, ich hätte was davon gebrauchen können.«
    »Wieso?«
    Julius erzählte vom Ende des hochprämierten Jagdhundes.
    »Weiß man, wer’s war?«
    »Woher? Keine

Weitere Kostenlose Bücher