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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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über den Gang. Die Wohnungstür fiel zu. Er riss sie auf. Olav war schon im Erdgeschoss. Die Haustür krachte ins Schloss, Dühnfort nahm zwei Stufen auf einmal, zerrte die Tür auf und sah sich um. Olav lief Richtung Winzererstraße. Dühnfort spurtete hinterher. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, er rang nach Atem. Keine Kondition. Merde. Diesen übergewichtigen Jungen würde er doch erwischen. Olav warf einen Blick über die Schulter und legte einen Zahn zu. Der Abstand verringerte sich dennoch. Dühnfort hörte sein Keuchen, den Schlag seiner Schritte auf dem Asphalt, fühlte das Brennen der Muskeln und Schweiß den Rücken hinablaufen. Beim Näherkommen nahm er Olavs säuerlichen Geruch wahr, hörte, wie er japste und der Tritt seiner Füße aus dem Takt geriet. Noch zwei Meter. Olav schlug einen Haken. Dühnfort erwischte ihn am Hemd und rutschte gleichzeitig auf feuchtem Laub aus. Doch er ließ nicht los. Gemeinsam gingen sie zu Boden.
    * * *
    Meo saß in seinem Labor und arbeitete an Olavs Rechnern. Dühnfort holte sich einen Becher Kaffee und ging dann zu Olav ins Vernehmungszimmer.
    »Möchtest du auch etwas trinken?«
    Olav sah ihn aus blauen Knopfaugen an und hielt seinem Blick stand, die Mütze noch immer auf dem Kopf.
    Dühnfort setzte sich. »Du bist mit Franziska Kiendel befreundet?«
    Olav fixierte nun eine Stelle an der Wand hinter Dühnfort. In seinem Gesicht regte sich nichts. Dühnfort war müde und hungrig. Es war nach neun, und seine Geduld neigte sich allmählich einem natürlichen Ende zu.
    »Du besuchst die gleiche Schule wie Franzi. Ein Bild von ihr ist als Bildschirmschoner auf deinem PC. Du kennst sie also. Ich würde mich gerne mit dir über Franzi unterhalten.«
    Das Gesicht blieb wie gemeißelt, die Knopfaugen auf die Wand gerichtet.
    »Gut, dann beenden wir das für heute. Du weißt, was wir auf dem PC von Heckeroth gefunden haben. Du weißt, was wir auf deinen Rechnern finden werden. Morgen um neun reden wir. Hier bei mir im Büro. Bittesei pünktlich. Solltest du es wider Erwarten nicht sein, schreibe ich dich um fünf nach neun zur Fahndung aus.«
    Für eine Sekunde wurden Olavs Augen groß, etwas um seinen Mund zuckte.
    »Du kannst gehen.«
    Olav erhob sich und schlurfte zur Tür hinaus, ohne sich umzudrehen. Morgen um fünf vor neun würde er an der Bürotür klopfen, da war Dühnfort sich sicher.
    Er schaute noch kurz im Büro von Gina und Alois vorbei. Alois war nicht da. Er war wegen der GHB-Käufer unterwegs. Gina fuhr den Rechner runter. »Morgen ist auch noch ein Tag, und die Rindsrouladen warten auf mich. Magst du mitkommen? Es reicht bestimmt auch noch für dich.«
    Dühnfort fühlte sich verschwitzt und schmutzig. Seine linke Hand war aufgeschürft und die Hose vom Sturz mit Olav fleckig. Er dankte Gina für die Einladung und ging nach Hause.
    Die Wohnungstür fiel hinter ihm ins Schloss. Einen Moment lauschte er in die Stille. Dann brachte er Steinpilze und Petersilie in die Küche; die Büchertüte trug er ins Wohnzimmer. Das Licht am Anrufbeantworter blinkte. Die Nachricht war von Sylvia Ullmann, die um Rückruf bat. Der Kaufvertrag war ausgefüllt, und falls er seinen spontanen Entschluss noch nicht bereute und das Boot wirklich haben wollte, fehlte nur noch seine Unterschrift. Dühnfort wählte ihre Nummer und vereinbarte ein Treffen für den kommenden Tag, während ihrer Mittagspause.
    Danach ging er unter die Dusche, verarztete die Schürfwunde an seiner Hand und machte sich dann an die Zubereitung des Steinpilzrisottos. Während des Kochenstrank er ein Glas Grauburgunder. Als er die Stille nicht länger ertrug, die sich um ihn legte wie ein mit Regen vollgesogener Mantel, schob er eine Norah-Jones-CD in den Player.
    Er aß am Küchentisch, trank Wein und blätterte dabei in dem Gedichtband. Warum hatte Agnes ihm diese Mail geschickt? Tat es ihr leid? Suchte sie einen Anknüpfungspunkt, war der Vers eine Art Leine, die sie ihm zuwarf?
Dich hätte ich geliebt, und du hast es geahnt!
Hätte! Die Möglichkeit war vorüber. Wäre es nicht einfacher gewesen, ihm klipp und klar zu schreiben, was sie dachte, statt zu erwarten, dass er nun dieses Gedicht interpretierte und herauslas, was sie gemeint haben könnte? Er war keiner, der sich mit den Finessen der Sprache auskannte, entdeckte, was zwischen den Zeilen stand, andere Bedeutungen freilegte, als die Worte auf den ersten Blick offenbarten. Erwartete sie gar eine gleich geartete Antwort? Vielleicht noch selbst

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