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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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jedenfalls hatte Caroline den Worten entnommen.
Es war ja alles egal.
    Jemand trat an den Tisch. Sie sah auf und blickte in lächelnde graue Augen.
    Manchen Männern stand ein gewisses Alter einfach besser als Frauen. Bei ihnen wirkten die Spuren, die das Leben in den Gesichtern hinterließ, interessant, wurde Reife attraktiv, sogar sexy. Und Christian Brandenbourg gehörte zu ihnen. Er reichte ihr die Hand. »Caroline? Ich darf Sie doch so nennen.«
    Sie nickte.
    »Christian.« Seine Hand war kühl und sehnig. »Verzeihen Sie meine Verspätung. Die Probe hat etwas länger gedauert.« Es klang nicht wie eine Bitte, sondern wie eine Anweisung.
    »Natürlich«, sagte sie, während er dem Kellner den Mantel reichte, einen trockenen Sherry bestellte und sich setzte.
    Er trug eine Cordhose und dazu einen moccabraunen Rollkragenpullover aus Kaschmir. Seine Figur war kräftig, aber nicht dick. Das breite und kantige Gesichtdrückte Willensstärke aus. Im braunen Haar verteilten sich graue Strähnen, sträubten sich Wirbel, flossen Locken kurz und träge dahin, als habe ein mediterraner Wind sie zerzaust.
    Er rückte den Stuhl zurecht und musterte sie freundlich interessiert. »Sie sehen Ihrer Mutter verblüffend ähnlich. Wie lange ist das her? Über vierzig Jahre? Und trotzdem habe ich Sie sofort erkannt.«
    Caroline lächelte. Der Kellner brachte den Sherry und reichte erst Caroline, dann Brandenbourg eine Speisekarte.
    »Sie haben gestern von ihr in der Vergangenheit gesprochen. Ist sie … ich meine, lebt sie nicht mehr?«
    Caroline nickte. »Mutter ist vor einigen Wochen gestorben.«
    »Das tut mir leid. Sie war ein warmherziger Mensch. Aber da erzähle ich Ihnen nichts Neues.«
    O doch, dachte Caroline. Warmherzig wäre nicht das Wort gewesen, das ich gewählt hätte, um sie zu beschreiben.
    Brandenbourg musterte sie. »Sie sehen so aus, als würden Sie mir nicht unbedingt zustimmen.«
    Sie versuchte ein Lächeln. »Vielleicht stand diese Eigenschaft ein wenig im Schatten anderer.« Sie wollte ihm schon sagen, dass der Tod seines Vaters eine Zäsur in Ellis Leben gewesen war, als ihr plötzlich einfiel, dass er von der Affäre vermutlich nichts wusste.
    »Wie haben Sie eigentlich entdeckt, dass ich Elli kannte?«, fragte Brandenbourg und griff nach seinem Glas.
    »Im Nachlass meiner Mutter gibt es Briefe, aus denen das hervorgeht.«
    Er trank einen Schluck Sherry und stellte das Glas wieder ab. »Wollen wir erst bestellen? Die Entenbrustist sehr empfehlenswert und als Vorspeise vielleicht eine kräftige heiße Suppe.«
    »Gerne.«
    Christian winkte dem Kellner, gab die Bestellung auf und orderte je eine Flasche Rosé und Wasser. Dann lehnte er sich zurück und leerte das Sherryglas. »Sie haben also die Briefe gefunden. Haben Sie sich nicht gefragt, wie sie in den Besitz Ihrer Mutter zurückgelangt sind?«
    Tatsächlich. Darüber hatte sie nicht nachgedacht. »Mein detektivischer Spürsinn ist nicht sehr ausgeprägt.« Aber wenn sie diese Frage nun richtig deutete …»Sie waren das?«
    Er nickte, beugte sich vor und griff nach ihren Händen. Seine Finger waren schlank und lang, sehnig und gleichzeitig muskulös. Schöne Männerhände. Die Hände eines Geigenspielers. »Keine Sorge. Sie betreten kein vermintes Terrain. Ich weiß von der Beziehung zwischen Ihrer Mutter und meinem Vater. Elli war seine große Liebe. Aber das wissen Sie ja, wenn Sie die Briefe gelesen haben.«
    Caroline war die Berührung unangenehm. Sie empfand sie als vereinnahmend, besitzergreifend, und nicht zuletzt zeigte Christian damit das Ausmaß seines Selbstbewusstseins. Sie kannten sich gerade mal drei Minuten und er nahm ihre Hände in seine. Caroline entzog sie ihm und griff nach dem Champagnerglas.
    »Ich dachte, dass niemand davon wusste. Jedenfalls habe ich das dem Briefwechsel entnommen.«
    »Diese Annahme ist aber nicht richtig. Meine Mutter wusste von der Affäre.«
    Der Kellner trat an den Tisch, öffnete die Flasche Wein und ließ Christian probieren, bevor er die Gläser vollschenkte. Anschließend servierte er eine Tomatencremesuppe.
    »Wie gesagt, meine Mutter kannte die Wahrheit. Sie hat in Vaters Sakkotasche einen Brief gefunden, was das Ende einer Kristallvase zur Folge hatte, echtes Bleikristall, ein Familienerbstück. Von weniger wertvollem Porzellan ganz zu schweigen. Ich fand diesen Auftritt damals ziemlich beeindruckend. Meine sonst so kühle Mutter glühte vor Wut. Allerdings explodierte sie ganz alleine, ich wurde nur

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