In weißer Stille
getan, damit er mich liebt, habe alles für ihn aufgegeben.« Albert versagte die Stimme. Er lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. »Alles.« Es war mehr ein Flüstern. Langsam rutschte er zu Boden. Ohne die Augen zu öffnen, fuhr er fort. »Es hat Streit gegeben. Wir haben uns angebrüllt, vielleicht habe ich ihn geschubst. Jedenfalls lag er auf einmal bewusstlos am Boden. Und dann war alles wieder da. Ich habe das falsche Leben geführt. Seinetwegen. Aber bis er mich so weit hatte, hat er mich fast umgebracht.«
* * *
»Ich weiß nicht, warum es meinem Vater so wichtig war, dass wir unsere Entscheidungen selbst trafen. Aber bitte in seinem Sinn. Etwas anderes hat er nicht geduldet. Wir waren Kinder. Albert mit elf Jahren der Älteste. Vater hätte einfach sagen können:
Aus, Äpfel, amen. Ab heute ist Schluss mit Geigenstunden. Ich bezahle das nicht länger oder erst wieder, wenn die Schulnoten entsprechend sind.
So wie jeder andere Vater das getan hätte. Mein Vater verlangte jedoch Einsicht. Also hat er Albert in den Keller geschickt. Dort sollte er in aller Ruhe nachdenken und sich entscheiden. Erst dann durfte er wieder nach oben kommen. Aber Albert hatte nur scheinbar die Wahl. Hätte er sich für die Musik entschieden, hätte sich das Drama so lange fortgesetzt, bis Albert die
Einsicht
gewonnen hätte, dass die Schule und seine künftige Karriere als Arzt wichtiger waren als das
Gefiedel.
Man kann es auch so sagen: Albert musste sich entscheiden, ob er weiterhin Vaters Liebling sein wollte oder nicht.« Caroline lehnte sich auf dem Küchenstuhl zurück und starrte an die Decke. Sie kämpfte gegen die Tränen. Wie damals.
»Das ist ja sadistisch. Dein Vater hat tatsächlich den kranken Jungen in den Keller geschickt?« Marc klang entrüstet. »Um eine
freiwillige
Entscheidung zu erzwingen?«
»So war er nun mal. Wir kannten ihn nicht anders. Für uns war das normal, und meistens haben wir keine zehn Minuten in diesem muffigen Keller gesessen. Ich habe das erst später durchschaut, als ich schon erwachsen war, und Bertram auch. Nur Albert hat das nie wahrhaben wollen. Er hat mit einer Affenliebe an Vater gehangen. Vielleicht war er ihm zu nah, um erkennen zu können, welche Spielchen Vater spielte.«
»Aber Albert kam nicht nach zehn Minuten wieder aus dem Keller. Oder?«
Caroline griff nach dem Marmeladenglas und drehte es zwischen den Fingern. »Die Entscheidung muss ihm sehr schwergefallen sein. Als er am Freitagabend noch immer nicht oben war, habe ich mir Sorgen gemacht. Ich wollte ihm Kekse und Limo bringen. Er war ja nur mit einem Glas Wasser und dem Zwieback hinuntergegangen. Vater hat mich abgepasst und zurück ins Bett geschickt. Nicht mal etwas zu trinken durfte ich ihm bringen.
Dann kommt er schneller zur Vernunft,
hat Vater gesagt.«
»Das war grausam. Wie lange hat Albert durchgehalten?«
Caroline blickte auf und sah Marc in die Augen, die vor Ärger ganz dunkel geworden waren. »Bis Sonntagabend …«
»Zweieinhalb Tage!«
»Er kam völlig entkräftet nach oben. Im Flur ist er kollabiert. Mutter wollte einen Krankenwagen rufen, aber Vater hat das verboten. Er ist in die Praxis gelaufen und hat Infusionen geholt. In der Zwischenzeit wäre Albert beinahe gestorben. Mutter hat versucht, ihm was zu trinken einzuflößen, aber er konnte nicht schlucken. Es war furchtbar.« Caroline kämpfte wieder mit den Tränen. »Ich konnte nichts tun, ich habe mich so hilflos gefühlt. Ich dachte, er stirbt in Mutters Armen.«
Marc stand auf und zog sie an sich. »Sei mir nicht böse, aber dein Vater war ein herzloses Arschloch.« Die Wärme seines Körpers fühlte sich beruhigend an. »Über zwei Tage. Meine Güte. Wie verzweifelt er gewesen sein muss, dort unten in diesem Keller, wie in einer Falle. Er muss die Musik wirklich geliebt haben.«
Caroline schniefte. »Ja, das hat er. Er konnte wunderbar spielen. Die Geige gehörte zu ihm wie ein Teil seines Körpers. Vermutlich würde er heute Konzerte geben, wenn er sich damals nicht Vaters Willen gefügt hätte. Er könnte ein ganz anderes Leben führen, ein ganz anderer Mensch sein, wenn Vater das zugelassen hätte.« Sie fühlte einen leichten Ruck durch Marcs Körper gehen und blickte auf.
In Marcs Gesicht stand Verblüffung geschrieben. »Er ist kollabiert, hast du gesagt. Vermutlich weil er völlig dehydriert war. Sag mal, fällt dir denn die Parallele nicht auf?«
* * *
Christine Meingast stand neben ihrem Fahrzeug, als Dühnfort
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