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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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den Wagen auf dem Waldweg ausrollen ließ. Sie war klein und stämmig und wieder fiel ihm die frische Ausstrahlung eines Bauernmädchens an ihr auf. In der Hand hielt sie ein Fernglas. Er schaltete den Motor ab und stieg aus.
    »Weiterhin alles ruhig. Sie unterhalten sich. Er scheint aufgebracht zu sein, rennt ständig hin und her. Was machen wir jetzt?«
    »Kann ich das kurz haben?« Dühnfort wies auf das Glas, das sie ihm umgehend reichte. Er hob es an die Augen, stellte es scharf und blickte im Schutz der Fichtenschonung auf das Holzhaus. Barbara Heckeroth saß mit versteinertem Gesicht am Küchentisch, während Albert gestikulierend auf und ab schritt. Dühnfort ließ das Glas sinken. »Wir warten auf Verstärkung. Die Kollegen sind unterwegs.«
    Christine Meingast lehnte sich an ihr Fahrzeug. »Hat er seinen Vater umgebracht?« Mit dem Kinn machte sie eine Bewegung Richtung Haus.
    »Wir nehmen es an.«
    »Seine Frau scheint etwas zu wissen oder zu ahnen. Sie ist völlig durch den Wind. Vielleicht hat er sie entführt und will sie hier … Sollen wir wirklich warten, bis er ihr was tut?«
    »Es sieht im Moment nicht danach aus. Bevor ich mit ihm rede, will ich Verstärkung in petto haben. Wir müssen behutsam vorgehen. Der Mann scheint mit den Nerven am Ende zu sein. Ich will nicht, dass er durchdreht.«
    »Na gut. Hab ich schon etwas gelernt.« Christine Meingast musterte ihn. »Ich habe mich übrigens für das Auswahlverfahren beworben.« Dühnfort erinnerte sich an ihre Pläne, zur Kripo zu gehen. »Dann drücke ich die Daumen.« Er hob das Fernglas erneut und beobachtete Albert.
    * * *
    Sie war empört und entsetzt. Und sie verstand ihn. Ihr Gesichtsausdruck machte ihm Hoffnung. In den vergangenen Minuten hatte er ihr von jenem Wochenende berichtet, an dem sein Nichtvater ihn beinahe hätte sterben lassen. Aus Stolz und Eitelkeit! Ein Notarzt hätte Fragen gestellt, und wenn nicht, spätestens im Krankenhaus hätte Vater den Zustand seines Sohnes erklären müssen. Diese feige Drecksau.
    Albert setzte sich. Warum nur hatte er das Geigenspiel aufgegeben? Er hatte sich verraten. Nein, verkauft hatte er sich. Für einen Becher Eis, ein anerkennendes Schulterklopfen, eine nach Irish Moos duftende Umarmung, für das wohlige Gefühl, von Vater geliebt zu werden, für einen Männerbund und für den Sieg über Bertram. Der hatte kurz danach den Kampf gegen den Vater aufgenommen, ihn ständig herausgefordert und sich zielstrebig zum ungeliebten Sohn stilisiert.
    Babs legte ihre Hand über seine. »Ich verstehe, warum die Wut in dir hochgekocht ist, an diesem versauten Hochzeitstag. Wolfram hat dich verhöhnt und provoziert, und er hat dir das Fundament genommen, auf dem dein Leben stand. Ich verstehe auch deine Rache für dieses Wochenende im Keller, dass er selbst erleben sollte, was er dir zugemutet hat, dass du Gleiches mit Gleichem vergolten hast. Aber was ich nicht kapiere«, sie zog die Hand weg und verschränkte die Arme auf der Tischplatte, »weshalb hast du das nicht beendet? Wie konntest du es ertragen? Du musst doch gewusst haben, worauf das hinausläuft. Du bist Arzt.«
    Das Mitleid war aus ihrer Stimme gewichen, hatte sich in Vorwurf verwandelt. Sie mit ihrer Scheißmoral. Wie sollte sie ihn verstehen? Er verstand es ja selbst nicht. Aber er musste versuchen, es zu erklären. Ihr und vor allem sich selbst.
    Albert stützte die Ellenbogen auf und legte den Kopf in die Hände. Er hatte nicht gewusst, worauf es hinauslief, weil er dieses Wissen nicht zugelassen hatte. Etwas anderes war stärker gewesen. »Ich habe schon auf dem Heimweg angehalten, wollte umkehren und ihn losbinden. Aber dann … Er hat mich einen Bastard genannt, einen Schmarotzer … er sollte genauso lange im Bad sitzen wie ich damals im Keller. Zwei Tage. Außerdem …« Er sah auf. Sie hörte ihm mit angespanntem Blick zu. »Ich hatte Angst. Ja, eine Scheißangst.« Jetzt war es raus. Er fühlte sich etwas leichter. »Ich habe mich vor ihm gefürchtet wie ein kleiner Junge. Also habe ich nicht kehrtgemacht. Zwei Tage. Dann würde er froh und dankbar sein, wenn ich ihn befreie.«
    »Aber am Mittwoch bist du nicht nach Münsing …«
    Tja, das war nun auch ihre Schuld. Wenn sie nicht an jenem Abend in die Praxis gekommen wäre, dann wäre er gefahren. Oder nicht?
    »Als ich dich am Mittwochabend in der Praxis abgeholt habe, hast du mit keinem Ton gesagt, dass du für diesen Abend etwas anderes vorhattest. Ganz im Gegenteil, du bist

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