In weißer Stille
aber mein Vater hat mir die Seiten gezeigt, die er aus dem Tagebuch meiner Mutter herausgerissen hatte.« Albert wischte sich mit der Hand über das Gesicht und setzte sich wieder zu ihr an den Tisch.
»Hat er das erst jetzt herausgefunden? Nach Ellis Tod?«
»Was meinst du denn? Denkst du, er hätte mich an seiner Seite geduldet, mich gefördert und unterstützt, mir die Praxis quasi geschenkt, wenn er gewusst hätte, dass ich ein Kuckuckskind bin, dass er den Bastard seines Nebenbuhlers aufgezogen hat?«
»Hat er dich so genannt? Einen Bastard?«
Albert ließ sich auf den Stuhl fallen. »Nicht nur das. Dabei wollte er es mir eigentlich gar nicht sagen. Aber als ich kam, hatte er schon eine Flasche Rotwein aufgemacht und bereits zwei Gläser intus. Es muss ihn schier zerrissen haben, wie ich da brav angetrabt gekommen bin, um den Siphon zu reparieren. Ganz das Produkt seiner Erziehung, aber die Frucht fremder Lenden.« Albert griff über den Tisch und nahm ihre Hand in seine. Sie war eiskalt.
Babs ahnte, welche Kräfte in Wolfram gewirkt haben mussten, nachdem er Ellis Täuschung entdeckt hatte. Alle dachten, Albert sei Wolframs Sohn. Der wohlgeratene und erfolgreiche Arzt, der das Lebenswerk seines Vaters weiterführte. Solange niemand die Wahrheit kannte, konnte diese Fassade weiter bestehen, konnte niemand hinter vorgehaltener Hand über Wolfram lächeln, oder schlimmer noch, sich offen über ihn lustig machen. Solange es niemand wusste, würde er der ganze Kerl bleiben, der er immer gewesen war. Nach außen. Aber sich selbst konnte er nicht belügen. »Ist er deshalb hierhergefahren, um zu überlegen, wie er mit dieser Wahrheit umgeht?«
Albert nickte. »Am liebsten hätte er mich davongejagt. Aber dann wäre nur Bertram geblieben. Dieser Verbrecher.« Albert lachte bitter. »Das ist schon tragikomisch. Er hat uns zu denen gemacht, die wir sind. Ich ein Waschlappen, Bertram ein Ganove. Und weshalb? Ich war die vermeintliche Trophäe im Sieg über Mutters Liebhaber. Ich war der lebende Beweis seiner Männlichkeit und vor allem seiner Macht. Deshalb hat er mich gehätschelt und gefördert, ständig bevorzugt und versucht, mich zu seinem Ebenbild zu machen. Um sich stets daran zu erinnern, was für ein toller Kerl er doch war. Und dann, nach über vierzig Jahren, stellt er fest, dass nicht er den Kampf um die Weitergabe der Gene gewonnen hat.« Albert stand auf und begann auf und ab zu gehen.
Babs tat er leid. Wolfram hatte ihm alle Sicherheit genommen, auf der Alberts Leben aufgebaut gewesen war. »Du meintest vorher, dass er dir die Wahrheit nicht sagen wollte. Weshalb hat er es dann doch getan? Was ist an unserem Hochzeitstag geschehen?«
Albert war am Durchgang zum Flur angekommen, drehte sich um, lehnte sich an die Wand und starrte an die Decke.
»Er hat mir zugesehen, wie ich unter dem Spülbecken rumgekrochen bin, um diesen Scheißsiphon zu reparieren, und hat dabei ein Glas Wein getrunken. Er saß da wie der Großherzog, mit süffisantem Lächeln im Gesicht, während mir diese Brühe aus Spülwasser und Essensresten über den Arm gelaufen ist. Als ich fertig war, hat er mich gebeten, Abendessen zu machen. Vermutlich hat er sich köstlich amüsiert, als ich dich angerufen habe. Und dann, während des Essens, grinst er michan und sagt: Du bist genauso ein Waschlappen wie dein Vater!« Albert schluckte und schloss für einen Moment die Augen. »Ich habe das nicht verstanden. Vermutlich habe ich ihn ziemlich dumm angeglotzt.« Er löste sich von der Wand und setzte sich wieder an den Tisch. Dann erzählte er, wie sein Vater ihn über den Hintergrund dieser Bemerkung aufgeklärt und anschließend als Bastard, Schmarotzer, Weichei und Waschlappen beschimpft hatte.
Oder wie würdest du einen Kerl bezeichnen, der sich ins gemachte Nest setzt und nicht Manns genug ist, einmal nein zu sagen, der sich an seinem Hochzeitstag, anstatt seine Frau zu bumsen, lieber herumkommandieren lässt und in der Kloake wühlt?
»Als er mit dieser Tirade fertig war, hat er erzählt, dass Bertram am Sonntag da war, dass sie gemeinsam gegrillt und sich gut unterhalten hätten, dass Bertram ihm so ähnlich sei und dass er ihm Unrecht getan hätte, seinem einzigen Sohn. Seinem einzigen Sohn!« Albert sprang auf und setzte seine Wanderung fort; wie ein im Käfig gefangener Tiger schritt er zwischen Kühlschrank und Durchgang auf und ab. »Ich wollte das nicht. Aber plötzlich war alles sinnlos. Mein Leben lang habe ich alles
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