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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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Eintrag stammte vom 15 . Oktober 1962 . Das war das heutige Datum vor weit mehr als vierzig Jahren.
    * * *
    Noel und Leon verschwanden nach dem Abendessen in Noels Zimmer, angeblich, um zu lernen. Babs schmunzelte. Sicher würden sie die Spielkonsole nicht aus der Hand legen, die Noel sich von seinem Freund Patrick geliehen hatte. Albert saß am Tisch und stützte den Kopf in die Hände. Sie räumte das Geschirr weg und schuf so Platz, um weiter an den Entwürfen arbeiten zu können, obwohl sie todmüde war. Ein Kaffee musste siewieder auf die Beine bringen. »Magst du auch einen Espresso?«
    Albert blickte auf. »Ja, gerne.« Seine Augen waren gerötet, er rieb sich mit der Hand über die Stirn. Den Nachmittag hatte er damit verbracht, in alten Praxisunterlagen zu wühlen und die Namen und Adressen der Sprechstundenhilfen seines Vaters herauszusuchen, die auch dessen Geliebte gewesen waren. Vor dem Abendessen hatte er die Daten an Dühnfort gefaxt.
    »Dass Vater ein solches Schwein war … Ich habe gedacht, ich kenne ihn, weiß, was er denkt und welche Wertvorstellungen er hat, und dann kommt so etwas ans Licht.« Albert massierte sich die Nasenwurzel. »Als wir Kinder waren, hat er uns derart gedrillt. Tu dies und tu das nicht. Du bist ein Heckeroth, in dich werden hohe Erwartungen gesetzt, du musst moralisch integer sein.« Albert lachte. »Moralisch integer. Wie hat Caroline mal gesagt? Außen hui und innen pfui. Recht hat sie und Bertram auch, der hat dem Alten ja ständig Scheinheiligkeit vorgeworfen. Nur ich, ich war der Depp, ich habe ihn nicht durchschaut.«
    Babs überraschte dieser Ausbruch. Obwohl auch sie die Bilder widerwärtig und erschreckend fand. In ihnen spiegelte sich ein anderer Wolfram, ein Mann, den sie nicht gekannt hatte und den sie auch nicht kennenlernen wollte. Man musste nicht für alles Verständnis haben, alles rechtfertigen, alles entschuldigen. Doch für Albert waren die Bilder ein regelrechter Schock. »Wolfram hat diese Seite vor euch verborgen. Das ist verständlich. Caroline hat heute Morgen angerufen. Sie ist genauso entsetzt darüber wie du.« Babs schüttelte unwillkürlich den Kopf. »Sie denkt, dass Bertram es war und Katja ihm ein falsches Alibi gibt. Warum sollte sie das tun?«
    »Bist du wirklich so naiv?« Er sagte das nicht aggressiv, eher müde. »Vielleicht droht er ihr, sie zu verprügeln oder in der Isar zu versenken oder die Galerie zu verwüsten. Schon vergessen, wie er sich bei uns aufgeführt hat?«
    Babs dachte nicht gerne daran. Vor zwei Wochen war Bertram bei ihnen aufgetaucht und hatte gefragt, ob sie bei Albert ein gutes Wort für ihn einlegen könnte. Die Sache mit dem Geld täte ihm leid, er wolle den Schaden wiedergutmachen, aber vorher bräuchte er kurzfristig eine größere Summe und wollte Albert bitten, sie ihm zu leihen. Natürlich verzinst. Albert hatte diesen Besuch vorausgesehen und Babs angewiesen, Bertram zu sagen, er bekäme von ihm keinen Cent. »Wenn er sich das Haus nicht leisten kann, dann muss er es verkaufen oder sich wieder eine Frau suchen, die ihn aushält.« Das hatte sie natürlich so nicht an Bertram weitergegeben. Aber den Vorschlag, das Haus zu verkaufen, hatte sie gemacht. Da war Bertram ausgetickt. »Nur über meine Leiche«, hatte er gesagt und sie dann als geldgeile Tussi beschimpft, die auf Kosten ihres Ehepartners lebte. Er war aus der Wohnung gestürmt und hatte im Vorbeilaufen die Vitrine im Flur umgeworfen. Babs’ im Laufe von fünfzehn Jahren zusammengetragene Sammlung von Muranoglas war zu Bruch gegangen. Sie hatte mit den Tränen gekämpft, als sie die Scherben weggeräumt hatte. Doch obwohl sie stinksauer auf Bertram war, hielt sie ihn nicht für einen Vatermörder.
    Die Maschine war aufgeheizt. Babs füllte den Einsatz mit Kaffeepulver und sah zu, wie der Espresso in die Tassen lief.
    Albert starrte noch immer auf die Tischplatte. »Wie hat er das nur so lange geheim halten können?« Erwar wieder bei den Bildern angelangt. »Die ersten Aufnahmen stammen aus der Zeit in Germering. Da waren meine Eltern frisch verheiratet und ich ein Baby. Es ist doch unmöglich, dass Mutter all die Jahre nichts bemerkt hat.«
    »Vielleicht wollte Elli es ja nicht sehen.« Oder Elli und Wolfram hatten eine Art Übereinkunft, überlegte Babs. Er stand auf Fesselspiele, sie sicher nicht. Jedenfalls gab es kein Bild von ihr. Vielleicht war es Wolfram nicht gelungen, seine eigene Frau so weit zu bringen, oder er hatte es nicht

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