In weißer Stille
Katja hob drei Teepackungen hoch. »Tut mir leid. Ich habe nur diese ayurvedischen Tees.« Bedauernd zuckte sie mit den Schultern.
Warum wirkte bei Katja jeder zweite Satz wie eine Entschuldigung? Etwas mehr Selbstvertrauen würde ihr guttun. »Frauenpower klingt doch gut.« Caroline stellte die Handtasche auf den Couchtisch und sah sich um, während Katja den Wasserkocher füllte. An einer Wand lehnten weitere Südseebilder. Caroline blätterte sie durch. Sie gefielen ihr, und sie überlegte, ob sie tatsächlich eines kaufen sollte. Das letzte Bild war beschädigt. Ein Riss zog sich diagonal durch die Leinwand. Die Kanten waren glatt und exakt, wie mit einem Skalpell geschnitten.
Katja stellte das Teetablett auf den niedrigen Tisch und schenkte die Tassen voll. Caroline setzte sich zu ihr.
»Dieser Mord an Wolfram … das ist fürchterlich«, begann Katja. »Dein Vater war ein so netter und humorvoller Mann. Ich kann gar nicht glauben, dass er tot ist. Und noch dazu so grauenhaft …«
»Ja, es ist schrecklich. Ich bin froh, dass Albert sich um die Formalitäten und die Beisetzung kümmert. Ich könnte das nicht. Kommst du am Freitag zur Beerdigung?«
Katjas Augen wurden größer und die Lippen blasser. Sie nickte. Tapfer, wie es Caroline erschien. Kein Wunder. Sicher hatte sie keine Lust, ihrem prügelnden Exgatten zu begegnen. Noch dazu, wenn er sie eventuell erpresste, ihm ein Alibi zu geben.
»Es ist mir ja fast peinlich, das zu fragen. Versteh das bitte nicht falsch. Es ist nicht aus Neugier oder Sensationslust …«
Während Katja sich ihrer Frage annäherte, überlegte Caroline, dass Konfrontation die beste Möglichkeit war, aus Katja die Wahrheit herauszukriegen. Natürlich würde sie es nicht zugeben, falls Bertram sie erpresste. So dumm war sie nicht. Aber ihre Reaktion würde sie verraten.
»Hat die Polizei denn schon eine Spur?« Endlich hatte die Frage das Licht der Welt erblickt.
Caroline nickte. »Sie haben zwei konkrete Ansatzpunkte. Zum einen hat sich gezeigt, dass mein Vater gewisse sexuelle Vorlieben hatte, die nicht unbedingt gesellschaftsfähig waren. Man hat in seiner Wohnung …« Bei dem Gedanken an dieses Album sträubte sich in Caroline alles.
»Die Polizei hat das Album gefunden?«, fragte Katja.
»Du wusstest davon?«
»Bertram hat mir mal davon erzählt.«
»Bertram?« Caroline konnte es nicht fassen. »Wann?«
»Irgendwann am Anfang unserer Ehe. Ich mochte euren Vater wirklich und habe Bertram das auch gezeigt. Aber du weißt ja, wie die beiden zueinander standen.Er musste das Bild, das ich von ihm hatte, unbedingt zerstören, und da hat er mir von dieser Fotosammlung erzählt. Danach habe ich Wolfram schon mit anderen Augen gesehen. Obwohl, so pervers fand ich es nun auch nicht. Früher war das vielleicht völlig unmöglich. Aber heute … und wenn die Frauen das so gewollt haben.«
Es war unglaublich. Sowohl die Tatsache, dass Bertram jahrelang über Vater Bescheid gewusst und geschwiegen hatte, als auch die Selbstverständlichkeit, mit der Katja Wolframs perverse Neigungen akzeptierte.
»Es tut mir leid. Das hätte ich jetzt nicht sagen sollen.«
Wenn sie noch einmal sagt, dass ihr etwas leidtut, weiß ich nicht, was ich mache, dachte Caroline. Sie atmete durch. Bertram hatte also die Bilder gekannt und dieses Wissen genutzt, um eine falsche Fährte zu legen: eine mit Gürteln gefesselte Leiche. Natürlich folgte die Polizei dieser Spur. »Kein Problem.« Caroline hatte sich schnell wieder gefangen. »Da kann man mal sehen, wie wenig man seine Eltern kennt.« Sie zuckte lässig mit den Schultern.
»Aber weshalb soll dieses Album eine Spur sein?«, fragte Katja.
»Vielleicht haben nicht alle freiwillig mitgemacht?«
»Und nun glaubt die Polizei, eine hat es ihm mit gleicher Münze vergolten?« Katjas Augen zeigten Überraschung. War ihr denn nie die Idee gekommen, dass man sich wehren konnte? Katja rutschte auf dem Sofa herum. »Und die andere Spur?«
»Bertram natürlich.«
Katja fuhr zusammen. Ihr Blick eilte zum Bilderstapel an der Wand. »Wie kommen sie denn auf die Idee?«
Sehr überzeugend klang ihr Erstaunen nicht. »Das istdoch naheliegend. Wer profitiert vom Todesfall? Das ist die erste Frage, die sie sich stellen.«
»Aber du profitierst doch auch davon und Albert.«
»Im Gegensatz zu Bertram haben wir aber keine finanziellen Sorgen.«
»Du denkst doch nicht …? Okay, er steckt in Schwierigkeiten … aber du kannst doch unmöglich glauben,
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