In weißer Stille
versucht. Das passte eigentlich besser zu ihm. Er hatte zwei Seiten. Zur einen gehörten die Familie, die Praxis, der Titel, eben alles, was er nach außen darstellte. Zur anderen gehörten blutjunge Frauen und sexuelle Phantasien, die damals mit Sicherheit nicht gesellschaftsfähig gewesen waren. Bestimmt hatte Wolfram beides fein säuberlich voneinander getrennt. Babs stellte die Tassen auf den Tisch und setzte sich zu Albert. Er blickte auf die Uhr. Wollte er noch weg? Sie dachte an die Entwürfe und an ihren schmerzenden Rücken. In Alberts Arbeitszimmer stand ein richtiger Schreibtisch. »Würde es dich stören, wenn ich deinen Schreibtisch freiräume und daran arbeite?«
Albert verzog das Gesicht, als hätte sie ihm ein unschickliches Angebot gemacht. Er trank den Espresso in einem Schluck. »Allerdings. Das ist mein Zimmer. Wenigstens einen Raum brauche ich für mich.« Er sah nochmals auf die Uhr.
»Ach. Und mein Reich ist wohl die Küche.«
»Meinetwegen musst du nicht arbeiten.«
Er stand auf, ging in den Flur, nahm den Mantel von der Garderobe und schlüpfte hinein.
»Ich mach das auch nicht für dich, sondern für mich!«,rief sie ihm nach. Doch die Tür fiel bereits hinter ihm ins Schloss.
* * *
Alois betrat den Raum und stellte sich zu Gina und Dühnfort an die Pinnwand. »Also ein unbeschriebenes Blatt ist Bertram nicht. Verurteilt wegen Steuerhinterziehung und Tricksereien mit Scheinfirmen beim Bau einer Molkerei, zwei Anzeigen wegen Körperverletzung. Anscheinend liebt er Schlägereien nach Kneipenbesuchen.«
»Was ist aus den Anzeigen geworden?«, fragte Dühnfort.
»Die Verfahren wurden eingestellt. Ein Veilchen, ein ausgeschlagener Zahn, und Bertram hat selbst auch ordentlich einstecken müssen. Man hat sich verglichen. Tut sich bei den Frauen etwas?« Alois blickte auf die Pinnwand.
Gina hatte die Bilder, nach Jahrzehnten in sechs Gruppen geordnet, mit Magneten an der Pinnwand befestigt. Die Zuordnung nach Jahren war nicht gesichert. Sie hatte sich dabei nach den abgebildeten Gegenständen und Kleidungsstücken, der Reihenfolge im Album und den Angaben von Heckeroths Kindern gerichtet. Unter neun Aufnahmen standen Namen, unter einigen auch Adressen. Hannelore Graf, Heckeroths letzte Sprechstundenhilfe, Nicole Preuss, eine ehemalige Mieterin am Kurfürstenplatz, Irene Schönhofer, die Frau des Bäckers, Elisabeth Weiß, die Tochter der besten Freundin von Heckeroths Ehefrau, Sabine Groß, eine Studienkollegin von Caroline, sowie Martina Rucker, Sandra Bleylein und Natascha Kovlac, drei ehemalige Sprechstundenhilfen.
Die letzten und somit aktuellsten Bilder hatte Ginamit
P?
versehen. Unter dem vorletzten stand ein Name. Rebecca Engelhardt. »Warum glaubst du, dass sie Prostituierte sind?«, fragte Dühnfort.
»Das war Carolines Idee. Und ist ja eigentlich logisch. Der Mann war zweiundsiebzig und zwar vermögend, aber weder so reich noch so prominent, dass eine junge Frau mit ihm freiwillig in die Kiste gestiegen wäre. Ich checke mal die Begleitagenturen.«
Alois sah auf die Uhr. »Ich muss los.« Er wandte sich zur Tür.
Gina grinste. »Rendezvous Nummer zweihundertelf in diesem Jahr? Oder so?«
»Ich führe nicht Buch.« Die Tür schloss sich hinter ihm. Es war Zeit, Feierabend zu machen. Dühnfort ging zum Schreibtisch.
Gina heftete zwei Magnete an die Pinnwand und wirkte dabei angespannt. »Ich pack es auch.«
»Hast du Sorgen?« Für einen Augenblick sah er in ihren Augen Angst aufblitzen.
»Nee. Ist alles im Lot.« Sie wich seinem Blick aus, ging zur Tür und drehte sich noch einmal um. »Ciao.« Auch das war ungewohnt. Sonst sagte sie
Bis morgen.
Dühnfort warf einen Blick in den Mailordner. Agnes hatte sich nicht gemeldet. Anscheinend akzeptierte sie seinen Rückzug. Dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich. Was hatte er denn erwartet? Sie hatte ihn mehrfach um Rückruf gebeten, und er hatte sich nicht gerührt. Das war mehr als nur unhöflich. Es war verletzend und eigentlich nicht seine Art. Plötzlich schämte er sich, griff zum Handy und wählte ihre Nummer. Nach dem dritten Klingeln schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Er legte auf.
Eine Viertelstunde später verließ auch Dühnfort dasPräsidium. Auf dem Heimweg kaufte er Käse, Oliven und frisches Bauernbrot. Zu Hause holte er eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank, richtete sein Abendbrot auf ein Brett, zog die Fleecejacke über und setzte sich auf den Balkon. Es wurde dunkel. Ein schwacher Lichtschimmer
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