Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
Vom Netzwerk:
keines der Telefone. Hatte er die Nacht etwa bei einer anderen Frau verbracht? Nein, diese Befürchtung wollte sie nicht näher in Betracht ziehen. Sie wollte nicht darüber nachdenken, ob sie demnächst vor der Wahl stand, eine tolerante Ehefrau sein zu müssen oder eine eifersüchtige Megäre. Sie würde einfach abwarten, bis Albert heimkam und erklärte, wo er die ganze Nacht gewesen war.
    Der Trockner mit der ersten Ladung Wäsche lief noch. Sie stopfte einen Berg Handtücher in die Waschmaschine, startete das Programm und ging in die Küche, an ihren Arbeitsplatz. Bei der Doppeldeutigkeit dieses Gedankens musste sie zuerst lächeln, verzog aber dann verärgert das Gesicht. Zwei Stunden hatte sie gestern noch hier, über das Zeichenbrett gebeugt, gesessen. Die Schultern waren völlig verspannt, der Rücken tat weh. Aber mit dem Ergebnis ihrer Arbeit war sie zufrieden. Sie holte den Block hervor, um Ideen für die nächste Variante zu skizzieren, und überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, die Badewanne freistehend in den Raum zu integrieren, als es klingelte.
    Sie ging zur Tür. Bertram stand davor. »Kann ich Albert sprechen?«
    »Er ist nicht da.«
    »Dann warte ich auf ihn.«
    »Ich weiß nicht, wann er kommt.«
    »Ich habe Zeit.«
    Aber ich nicht, hätte sie am liebsten gesagt.
    Bertram schob sich an ihr vorbei in die Wohnung. »Das mit der Vitrine tut mir leid. Ich werde dir den Schaden ersetzen. Gestern habe ich eine Anfrage für den Entwurf eines Parkhauses erhalten.«
    Für Bertram bemaß sich die Welt in Geldwert. Dass es Werte gab, die nicht zu ersetzen waren, wie eben ihre Sammlung von Muranoglas, schien ihm unbekannt zu sein. Außerdem war eine Anfrage noch kein Auftrag. Doch Babs hatte keine Lust, mit ihm zu streiten. »Magst du einen Kaffee?« Wenn er den getrunken hatte, würde sie ihn hinauskomplimentieren.
    Überrascht sah er sie an. »Gerne.« Er nahm einen Bügel von der Garderobe und hängte seinen Mantel selbst auf. Wie immer war er schwarz angezogen, Cordhose und Pulli. Auf der glattpolierten Glatze perlten einige Regentropfen. Er folgte ihr in die Küche und setzte sich an den Tisch. Neugierig betrachtete er die Skizzen, während sie die Kaffeekanne von der Warmhalteplatte nahm und eine Tasse vollschenkte.
    »Du arbeitest?«, fragte er, als sie die Tasse vor ihm abstellte.
    Babs schob das Zeichenbrett beiseite.
    »Schicker Schreibtisch.« Bertram grinste. »Lässt dein Gatte dich nicht an seinen? Trägt er noch immer Revierkämpfe aus?«
    »Weshalb bist du eigentlich gekommen?«
    Bertram zuckte mit den Schultern und griff nach der Tasse. »Ihr denkt wohl alle, dass nur Albert um Vater trauert … aber auch ich habe schöne Erinnerungen an ihn. Vor allem, als wir noch Kinder waren.« Er drehte die Tasse auf dem Unterteller. »Einmal hat er eine Kanutour mit mir alleine gemacht. Auf der Altmühl. Wir haben gepaddelt, sind geschwommen, und abends hatten wir einen irrsinnigen Sonnenbrand. Am Lagerfeuer haben wir Kartoffeln in der Glut gegrillt, und Vater hat Geschichten erzählt.« Bertram nahm die Brille ab, massierte sich die Nasenwurzel und starrte gedankenverloren in seinen Kaffee. »Wenigstens verlief unser letztes Gespräch ohne Streit.« Er sah hoch. Ohne Brille sah sein Gesicht ungewohnt offen aus. »Am Sonntag vor dem Überfall haben wir zusammen gegrillt. Die letzten Worte, die er zu mir gesagt hat, werde ich nicht vergessen.
Da hast du verdammt recht, Sohnemann. Du bist mir ähnlicher, als ich bisher wahrhaben wollte.
« Bertram lachte. »Stell dir vor. Ein Mal wenigstens hat er das zugegeben und dann …« Bertram stierte wieder in die Tasse.
    »Wie hat er das gemeint?«
    »Er hat seinen Vater enttäuscht. Genau wie ich.«
    »Ach.«
    Bertram schob die Tasse weg. »Du hast dich ja nie für ihn interessiert. Oder wusstest du, dass seine Eltern in Passau ein Stoffkontor hatten, das er übernehmen sollte? Sie hatten es unter Entbehrungen aufgebaut und durch den Krieg gebracht. Aber Vater wollte unbedingt Arzt werden. Er hat sich tatsächlich mit seinem Vater deswegen geprügelt. Danach ist er ausgezogen und nach München gegangen. Seine Mutter hat ihm heimlich Geld geschickt, damit er studieren konnte, aber mit seinem Vater hat er nie wieder ein Wort gesprochen. Er hat also,genau wie ich, das durchgezogen, was ihm wichtig war. Und darüber haben wir uns am Sonntag beim Grillen unterhalten.«
    Hatten Bertrams Augen tatsächlich einen feuchten Glanz bekommen? Babs traute ihm eine

Weitere Kostenlose Bücher