In weißer Stille
den Schwindel ja nicht gemerkt habe und niemandem geschadet worden sei.
»Doch, natürlich habt ihr jemandem geschadet. Euren Klassenkameraden, die fleißig lernen und keinen Doppelgänger haben, der für sie einspringt. Was ihr gemacht habt, ist Betrug.« Babs wusste, dass dies ein hartes Wort war, trotzdem war es angebracht. Es entsprach dem Sachverhalt.
Plötzlich sahen Noel und Leon betreten drein. Vielleicht war sie zu streng. Aber auch wenn sie ihr Verhalten verstand, musste es Konsequenzen haben, und das erklärte sie ihnen. Natürlich würde sie ihre Jungs nicht in der Schule anschwärzen. Also suchte sie nach einer anderen Lösung. »Vielleicht eine soziale Arbeit. Habt ihr eine Idee, oder soll ich mir etwas überlegen?«
Noel stützte den Kopf in die Hände und zog eine Schnute. »Wir könnten für die Katzameier einkaufen.«
»Für
Frau
Katzameier.« Die alte Dame wohnte über ihnen im vierten Stock und war noch gut zu Fuß. Da sie aber beinahe blind war, hatte sie Angst, beim Treppensteigen zu stürzen, und verließ deshalb kaum noch die Wohnung. »Das ist ein guter Vorschlag. Ihr könnt gleich damit anfangen. Besser, man schiebt so etwas nicht auf die lange Bank. Und mit einem Mal ist das nicht erledigt. Ich denke, ihr solltet diesen Dienst vier Wochen machen.«
»Vier Wochen!« Der Widerspruch erklang zweistimmig.
»Und falls Frau Katzameier eure Hilfsbereitschaft entlohnen möchte, lehnt ihr dankend ab. Alles klar?«
Ihre Jungs sahen nicht begeistert aus, trollten sich aber. Babs hörte sie die Treppen nach oben poltern und an der Tür der alten Dame klingeln.
Die nächsten anderthalb Stunden, bis die Jungs wiederkamen, verbrachte sie mit Hausarbeit. Dann kochte sie eine Kanne Tee und nahm sich die Unterlagen für das Problembad vor. Einige vage Ideen hatte sie schon im Verlag gehabt, die wollte sie nun skizzieren. Aus Alberts Arbeitszimmer holte sie einen Block und setzte sich an den Küchentisch. Ihre Arbeitsweise war mittlerweile antiquiert, aber sie besaß keinen PC und auf Alberts fehlte die nötige Software. Demnächst würde sie dafür ihrSparbuch plündern müssen. Sie wusste selbst nicht genau, weshalb sie Albert nicht bitten wollte, ihr die Grundausstattung ihres Büros zu finanzieren.
Als die Skizzen fertig waren, überlegte sie, was sie zum Abendessen kochen sollte. Etwas Leichtes und für später würde sie eine Flasche Prosecco kaltstellen. Der erste Schritt ihrer beruflichen Laufbahn musste schließlich gefeiert werden. Sie rief Albert an und fragte, wann er nach Hause kommen würde.
»Ich weiß es nicht. Das Wartezimmer ist voll, und dann war gerade Frau Kiendel da. Vater ist noch immer nicht zurück, und ich kann ihn telefonisch nicht erreichen. Vielleicht sollte ich doch fahren und nachschauen, was los ist.«
Wenn Albert nach der Sprechstunde ins Wochenendhaus fuhr, würde es wieder spät werden. Heute Abend sollte ihr Schwiegervater ihr nicht in die Quere kommen. Sicher hatte Wolfram den Akku nicht aufgeladen. Das vergaß er manchmal.
»Denkst du wirklich, dass das nötig ist? Er ist doch schon oft länger draußen geblieben. Wenn er dich bräuchte, hätte er dich angerufen. Das macht er doch sonst auch wegen jeder Kleinigkeit.« Diese Spitze konnte sie sich nicht verkneifen. Doch wenn Albert nicht fuhr, würde er sicher ständig versuchen, seinen Vater zu erreichen. Ein entspannter Abend würde das nicht werden. »Ich kann doch fahren. Dann bin ich zurück, bis die Sprechstunde vorbei ist, und wir können uns …«
»Nein. Ich fahre.«
Okay, dachte Babs, vergiss es. Sie blickte aus dem Fenster. Mittlerweile hatte es zu regnen begonnen.
* * *
Es war kurz vor acht und bereits dunkel. Regentropfen rannen am gekippten Küchenfenster herab und fielen auf das Alublech. Durch die Bäume auf dem alten Südfriedhof fegte der Wind. Kriminalhauptkommissar Konstantin Dühnfort konnte ihr Ächzen bis in die Küche hören.
Er stand vor dem Herd. Neben ihm lagen auf einem Holzbrett zwei dicke Steaks. Bestes Angusrind. Hinter ihm am Küchentisch saß Agnes mit noch feuchten Haaren und machte den Salat an. Sie hatte gerade geduscht. Kurz nach sechs Uhr hatte sie angerufen und gefragt, ob er Zeit habe. Sie hatte eine Typographie-Ausstellung besucht und keine Lust, schon zurück nach Mariaseeon zu fahren, wo sie wohnte. Natürlich hatte er sich gefreut, sie zu sehen. Wie immer. Natürlich waren sie nach einer halben Stunde im Bett gelandet. Wie immer. Ich bin ein Depp, dachte er
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