Incognita
lässig zu wirken, machte jedoch, aus der Nähe betrachtet, einen angespannten Eindruck. »Lange nichts mehr voneinander gehört.«
»Was mich betrifft, nicht lange genug«, zischte John so leise, dass kein anderer Gast es hören konnte.
»Noch immer beleidigt? Ich finde, wir sollten das Kriegsbeil begraben.«
John musste seine ganze Kraft aufbringen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Alte Erinnerungen kamen hoch, liefen wie ein Film vor seinem geistigen Auge ab. Im Zeitraffer sah er Gordon und sich während des Studiums. Obwohl Gordon Physik studierte, teilte er Johns Begeisterung für Geschichte. Aus dieser Gemeinsamkeit heraus entstand irgendwann die Idee, einen mittelalterlichen Urlaubspark aufzubauen. Gordon und er waren mehr als Freunde gewesen. Eher so etwas wie Brüder. Seelenverwandte. Und dann hatte ein einziger Tag all das mit einem Schlag zunichtegemacht.
Gordon nippte an seinem Martini, betont cool, als sei er James Bond. »Ich bin nicht hierhergekommen, um mit dir zu streiten, John«, sagte er.
»Dann wärst du wohl besser zu Hause geblieben.«
»John, ich will endlich Frieden schließen. Wie oft muss ich dir noch sagen, dass es mir leidtut?«
Es tat Gordon also leid! Großer Gott, wie oft hatte John diese Phrase schon gehört. Schade nur, dass Gordons Reue die Dinge nicht rückgängig machen konnte. Tiefe Wunden heilten nun einmal nicht so schnell, jedenfalls nicht bei John.
»Müssen wir denn auf ewig verfeindet bleiben?«, fuhr Gordon geduldig fort. »Ich dachte, wir können irgendwann wie Erwachsene darüber sprechen und uns wieder in die Augen sehen!« Er legte John eine Hand auf die Schulter, was wohl so viel bedeuten sollte wie: Komm schon, gib dir endlich einen Ruck! So schlimm war die Sache auch wieder nicht! Abergenau das war das Problem: Die Sache war schlimm!
Ich hätte große Lust, ihm sein Zahnpastalächeln aus dem Gesicht zu prügeln, dachte John. Das hätte ich schon viel früher tun sollen. Vielleicht würde ich mich danach besser fühlen.
Während er sein Versäumnis in Gedanken nachholte, gesellte sich die Frau des Bürgermeisters zu ihnen. Dankbar, in ein Gespräch verwickelt zu werden, hörte John sich gerne noch einmal an, wie sehr ihr die Begegnung mit dem Brüllaffen zugesetzt hatte. Gordon hingegen verschwand vom Büfett und tauchte in der Menge unter.
Fünf Minuten später wandte Edna Loomis sich einem rotgesichtigen Mitglied des Stadtrats zu, das ihre Geschichte offenbar noch nicht kannte, aber schon beim ersten Stichwort reges Interesse bekundete. John, nun allein gelassen, beschloss, Laura zu suchen. Er fühlte sich auf einmal müde und wollte nur noch ins Bett.
Seine Müdigkeit verflog, als er Laura erspähte, die in eine Unterhaltung vertieft war – ausgerechnet mit Gordon Cox. Die beiden befanden sich etwas abseits der Menge an einem Stehtisch, jeder mit einem Glas in der Hand. Sie wirkten so ausgelassen, dass es John beinahe schlecht wurde. Gordon hatte sich zu Laura herübergebeugt und raunte ihr etwas ins Ohr. Laura lachte und entgegnete etwas, sie schien bester Laune zu sein. Als ihr Blick auf John fiel, wurde sie augenblicklich ernst.
John zwang sich zur Ruhe, konnte aber nicht verhindern, dass die Eifersucht weiter in ihm hochkochte, genau wie damals, als er die beiden sozusagen in flagranti erwischt hatte. John war früher als erwartet von einer Geschäftsreise zurückgekehrt und hatte Laura und Gordon auf der Wohnzimmercouch ertappt – beide mit kaum mehr als ihrer Unterwäsche bekleidet. Für John stand außer Frage, was passiert wäre, hätte er seine Geschäftsreise nicht vorzeitig abgebrochen.
An diesem Tag war es zum Bruch mit Gordon gekommen. Er hatte ihn hochkant aus der Wohnung geworfen und ihm klargemacht, dass er ihn nie wieder zu Gesicht bekommen wolle. Ein paar Wochen lang hatte Gordon versucht, sich zu entschuldigen, aber Verzeihen gehörte nicht unbedingt zu Johns Stärken. Schließlich hatte Gordon aufgegeben und war in der Versenkung verschwunden. Das war jetzt acht Jahre her.
Auch mit Laura wäre es damals beinahe auseinandergegangen, doch am Ende hatte die Liebe gesiegt. Laura hatte John tausendmal versichert, dass dies ihr erster Ausrutscher gewesen war, und John hatte ihr irgendwann geglaubt. Er hatte ihr glauben wollen, es sogar müssen, sonst hätte es ihm das Herz zerrissen. So abenteuerlustig und abgebrüht er sich nach außen gab, so verletzlich war er, wenn es um Lauras Liebe ging – eine Schwäche, der er bis
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