Incognita
denn genau das, Ladys und Gentlemen, hatte er ursprünglich vor. Glauben Sie mir, für keinen von uns wäre das besonders vergnüglich gewesen.« Er sah in die Runde und stellte zufrieden fest, dass seine lockere Art bei den Besuchern ankam. Während sein Blick durch die Reihen schweifte, bemerkte er, dass am anderen Ende des Saals ein verspäteter Besucher durch die Tür trat. Ganz automatisch nickte John ihm einen Gruß zu, doch er erstarrte noch in der Bewegung, als er den Neuankömmling erkannte. Es war kein anderer als Gordon Cox, einer der wenigen Menschen auf diesem Planeten, mit denen John lieber nichts mehr zu tun haben wollte. Doch im Moment blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als die Situation zu akzeptieren.
»Eine der spannendsten Geschichtsepochen ist für mich die Konquista. Mein Interesse dafür lässt sich zweifellos auf meine Mutter zurückführen. Sie stammte aus Ecuador, ich selbst verbrachte die ersten sechs Jahre meines Lebens dort, genauer gesagt in Quito. Meine Mutter erzählte mir damals in den schillerndsten Farben von den Abenteuern der spanischen Eroberer, von Pizarro, Cortés und Bilbao. Vieles davon war frei erfunden, wie ich später feststellte. Aber meine Mutter verstand es, in mir das Verlangen zu wecken, mehr über die damalige Zeit zu erfahren.«
Wieder fiel sein Blick auf Gordon Cox. Eine Museumsangestellte flüsterte ihm etwas zu und deutete auf die hintere Stuhlreihe – scheinbar bot sie ihm einen Sitzplatz an. Doch Cox lehnte ab und zog es offenbar vor, stehen zu bleiben. Betont lässig lehnte er sich an die Wand. Er trug ein legeres Sakko, darunter ein Hemd mit offenem Kragen. Keine Fliege, nicht einmal eine Krawatte. Seine durchdringenden Augen waren starr auf John gerichtet, sein Lächeln schien ihn zu verhöhnen. Alles an Gordon Cox war eine Provokation. Das Schlimmste war, dass diese Provokation auf John wirkte.
Konzentrier dich auf deine Rede, verdammt noch mal!, ermahnte er sich. Mit Gordon kannst du dich später noch auseinandersetzen.
»Durch ihre Erzählungen weckte meine Mutter in mir also das Interesse für die damalige Zeit«, fuhr er fort. »Mehr noch – sie weckte in mir eine Abenteuerlust, die bis heute anhält. Es ist mir ein Anliegen, diese Leidenschaft zu teilen, sie anderen Menschen weiterzuvermitteln. Aus diesem Grund habe ich vor einigen Jahren eine Insel vor der britischen Küste erworben und daraus, wie Andrew Lewelin es nannte, einen mittelalterlichen Freizeitpark gemacht.«
Für alle, denen Caldwell Island kein Begriff war, erläuterte er kurz sein Projekt, auch wenn es absolut nichts mit der Museumsausstellung zu tun hatte. Im Beisein von Pressevertretern war es immer von Vorteil, ein wenig die Werbetrommel zu rühren.
»Meine Insel soll den Besuchern ein Stück Geschichte näherbringen – sie erlebbar machen. Das ist mein Ziel. Aus denselben Beweggründen unterstütze ich dieses Museum. Geschichte darf keine trockene Theorie sein, niedergeschrieben in angestaubten Büchern. Geschichte soll ein Erlebnis sein. Ich denke, genau das wird Ihnen der heutige Abend vermitteln. Andrew Lewelin gewährte mir in der Vorbereitungsphase für diese Ausstellung bereits einige Einblicke – wohl weil er wusste, dass er dadurch leichtes Spiel haben würde, mir weitere Spendengelder abzuluchsen.« Einige Zuhörer schmunzelten, andere lachten sogar auf. Johns Blick fiel auf Gordon Cox, der noch immer an der hinteren Wand lehnte und ihn anstarrte, als könne er ihn durch pure Willenskraft lähmen. Doch mittlerweile hatte John seine Selbstsicherheit wiedergewonnen. Gordon würde ihm diesen Abend nicht verderben.
»Ich kann voller Überzeugung sagen, dass Andrew eine wahre Meisterleistung vollbracht hat. Nie zuvor wurde eine Museumsausstellung so konsequent als Erlebnis inszeniert. Diese Jungs hier« – er deutete auf die beiden Kriegerfiguren, die das Rednerpult flankierten – »sind nur ein Vorgeschmack. Ladys und Gentlemen, Sie werden heute Abend so nah an der geschichtlichen Realität sein, wie es in einem Museum nur möglich ist. Sie werden auf eindrucksvolle Weise andere Völker und Kulturen kennenlernen, vor allem aber eine andere Epoche. Lassen Sie sich gemeinsam mit mir auf das Abenteuer ein, in jene Phase der menschlichen Geschichte einzutauchen, in der das Amazonas-Gebiet noch völlig unerforscht war. Versuchen Sie, sich in die Lage der spanischen Eroberer zu versetzen. Sehen Sie die heutige Ausstellung mit deren Augen. Keiner von ihnen
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