Incognita
einen Tag lang in den Kerker geworfen. Niemand wird gefoltert, verstümmelt oder gehängt. Die höchste Strafe, die jemand zu erwarten hat, ist, dass er die Insel vorzeitig verlassen muss, weil er seinen MP3-Player heimlich eingeschleust hat. Den Nervenkitzel des wahren Lebens zu vermitteln, das schafft kein Buch, kein Museum und kein Caldwell Island. Das schafft nur modernste Technologie!«
»Und da kommst du wohl ins Spiel?« Es sollte geringschätzig klingen, aber Gordon ging nicht darauf ein.
»In den vergangenen Jahren habe ich ebenfalls an einem Projekt gearbeitet«, erläuterte er. »Allerdings nur im Verborgenen. Ich wollte nicht, dass die Öffentlichkeit etwas darüber erfährt, bevor ich nicht einen ersten echten Erfolg vorweisen konnte. Inzwischen bin ich jedoch soweit, es fehlen nur noch ein paar abschließende Tests. Genau das ist der Grund, weswegen ich mit dir sprechen wollte. Ich brauche Geld.«
John lachte freudlos auf. »Geld? Ich fürchte, da bist du an den Falschen geraten. Wenn du wüsstest, wie lange ich schon nach Investoren für meine Insel suche, hättest du dir den Weg heute sparen können!«
»Ich meine es ernst, John.«
»Ich auch.« Er hatte keine Lust, weitere Erklärungen zu seinem eigenen finanziellen Dilemma abzugeben. Deshalb fragte er nur: »Weshalb nimmst du keinen Kredit auf?«
»Das habe ich bereits versucht. Aber Banken wollen Sicherheiten, und die kann ich ihnen nicht bieten. Nicht im notwendigen Maß. Ich brauche rund fünfzehn Millionen Pfund. Meine Sicherheiten reichen nicht mal für die Hälfte.«
John pfiff durch die Zähne. Fünfzehn Millionen Pfund! Er selbst benötigte zwanzig Millionen für den Ausbau von Caldwell Island. Gordons Situation war der seinen erstaunlich ähnlich. »Selbst wenn ich wollte, könnte ich dir zurzeit nicht mal eine Million geben«, sagte er. »Du wirst dich nach einem anderen Partner umsehen müssen. Es tut mir leid.« Das tat es natürlich überhaupt nicht. John verspürte sogar eine gewisse Genugtuung angesichts Gordons finanzieller Nöte. Nur weil er sich auf ein Gespräch mit ihm eingelassen hatte, machte sie das noch lange nicht wieder zu den guten Freunden von einst. Gordon hatte sich an Laura herangemacht. Wenn er jetzt in einer Geldkrise steckte, geschah ihm das nur recht.
John bemerkte, dass seine Frau ihn ansah – ungewöhnlich streng, wie er fand. »Ich denke, du solltest dir Gordons Unternehmen zuerst ansehen und dann darüber urteilen, ob du bei ihm investieren willst«, sagte sie.
»Es ist keine Frage des Wollens. Es ist eine Frage des Habens. Ich habe das Geld nicht.«
»Du besitzt einen Konzern, John!«
»Der von einer Treuhändergruppe geführt wird.«
»Du könntest versuchen, sie zu einer Investition in Gordons Firma zu bewegen.«
John war sprachlos über die Deutlichkeit, mit der Laura für Gordon Partei ergriff. Natürlich hatte sie recht. In der nächsten Geschäftsführerbesprechung hätte er Gordons Projekt vorstellen und beantragen können, ihm fünfzehn Millionen Pfund als Joint-Venture-Kapital zur Verfügung zu stellen. Aber weshalb um alles in der Welt erwartete sie von ihm, sich ausgerechnet für Gordon einzusetzen, noch dazu vor einem Gremium, das ihm selbst keinerlei finanzielle Unterstützung für Caldwell Island gewährte?
Gordon ahnte wohl, dass er John an diesem Abend zu nichts überreden konnte. »Tu mir den Gefallen, und denke wenigstens darüber nach«, sagte er und reichte John eine Visitenkarte. »Du kannst meine Firma jederzeit besichtigen. Ruf mich einfach an, dann werde ich dir persönlich alles zeigen. Ich bin sicher, du würdest es nicht bereuen.« Er wandte sich Laura zu und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »War schön, dich wiedergesehen zu haben.« Dann drehte er sich um und bahnte sich seinen Weg am Saurierskelett vorbei zum Foyer.
John sah ihm wortlos hinterher. Besaß dieser Mistkerl doch tatsächlich die Unverfrorenheit, Laura vor seinen Augen zu küssen.
Aber damit, mein lieber Gordon, hast du dich ins eigene Fleisch geschnitten, dachte John grimmig. Wofür immer du dieses Geld benötigst – von mir bekommst du es auf gar keinen Fall.
Auf der Heimfahrt gab Laura sich wieder schweigsam, womit sie John zweifellos klarmachen wollte, wie sehr ihr die Art missfiel, wie er mit Gordon umgesprungen war. Die unterkühlte Stimmung wurde auch nicht besser, als sie in ihrem Penthouse in Westminster ankamen.
Regen und Gewitter hatten mittlerweile aufgehört, doch die schwarze
Weitere Kostenlose Bücher