Incubus et Succubus
wie anstrengend dieser für ihn werden würde. Ach, aber da musste er jetzt durch.
„So, das ist sie, die Kapelle“, sagte er stolz, als hätte er ein Fa milienmitglied präsentiert, das die Jahrhundertwende überlebt hatte.
„Zu welchem Zweck ist sie so weit draußen gebaut worden?“, fragte Luca und ging um das He iligtum herum. Tief im Bauch der Wälder spürte er einen Wind aufkommen, der den alten Atem des Waldes zerstreute. Das Schiff der Kapelle war über die Jahre eingebrochen worden. Er ging hinein, die Decke war eingerissen, Blätter wirbelten herum. Sein Blick fiel auf den Kamin. „Habt ihr das letzte Mal Feuer gemacht?“
„Nein, wieso?“
„Der Kamin sieht benutzt aus! Und es riecht verfault hier!“
Daniel zuckte mit den Schultern, wahrscheinlich hat sich jemand daran zu schaffen gemacht , sagte er eher beiläufig, er wollte sich den Tag nicht vermiesen lassen. „Geheime und versteckte Orte werden immer präsenter. Im Internet kann man doch etwas über diese Kapelle nachlesen.“
„A h ja“, sagte Luca und ging weiter. Der Boden war verfliest und Staub und Blätter und Astwerk huschten durch den Wind bewegt durch das Kapellenschiff. Seine Stimme gab ein dunkles und düsteres Echo wieder. Sein Sohn huschte an ihm vorbei. „Vorsicht Liam“, sagte er besorgt. Doch außer den kleinen Schritten seines Sohnes hörte er nichts. An den Wänden starrten ihn Kunstfiguren an, die grauenerregende Fratzen besaßen, nichts Einladendes, nur Abschreckendes konnte er erkennen.
Er berührte den Boden und glaubte Wärme zu spüren, als fände unter der Kapelle eine unterirdische Thermalbewegung statt.
„Berühr mal, Schatz!“, sagte er.
Lena berührte den Boden, rieb die Ablagerung zwischen ihren Fingern und sah etwas Weißes, sie roch daran, doch die Ablagerung hatte keinen Geruch. „Eigenartig“, sagte sie. Sie machte mit ihrer Kamera ein paar Fotos von sich, von Luca, von Liam. Sie bat Dominik, der in ihrer unmittelbaren Umgebung stand, ein paar Fotos von ihnen zu machen; er machte sie gerne.
Daniel war draußen geblieben, er begutachtete die Schönheit des Platzes und spürte die anpi rschende Dunkelheit. „Wir sollten unsere Zelte aufschlagen!“, sagte er mit einem Lächeln. Aus der Kapelle hörte er die Worte „gleich“, „sofort“, „das musst du gesehen haben“, Daniel lächelte, hatte er die Kapelle doch schon vor längerer Zeit begutachtet und sie sehr interessant gefunden.
Die Kapelle bestand aus zwei Teilen. Das Kapellenschiff mit seinen Masken an den Wänden und einen hinteren, kleineren Teil, der fast gänzlich ins Freie blickte. Lena begutachtete gerade diesen Teil, die Steine, die abgebröckelt vom Mauerwerk waren, die Umgebung, die sich an die Kapelle herangeschlichen hatte und langsam vereinnahmte. Der vordere Teil wurde durch einen hoch gewachsenen Baum durchbrochen, scheinbar um der Grausamkeit, die hier geherrscht haben musste, ein Ende zu setzen. In einer Ecke war eine Falltür, die aber nicht zu öffnen war.
Lena, Luca un d Liam zogen an dem riesigen, schwarzen Ding, das ein Loch im Erdboden verdecken musste, doch ließ es sich nicht öffnen. Und Luca zeigte auf das Schloss, das daran befestigt war. „Es sieht fast neu aus …, findest du nicht?“, sagte er stotternd.
„Ach, das hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Ehe r zum Schutz für die Wanderer gedacht, so sieht es aus, glaube ich zumindest. Du siehst ja, wie neugierig wir sind; wir greifen alles an und möchten sofort alles wissen und wenn wir nichts wissen, beginnen wir Märchen zu erzählen.“
„Wahrscheinlich ist es so wie du sagst“, sagte Luca und bat Liam, er möge nicht in der Nähe dieser Falltür spielen.
„Du fotografierst ja gar nicht“, rief Lena Daniel zu, der noch immer wie angewurzelt draußen stand und starrte oder staunte.
„Zuerst muss man alles genau beobachten, dann kann man es erst fotografieren, ich muss das Auge dafür bekommen … es muss mich reizen.“
Lena lachte und schoss weiter e Fotos. Motive fand sie mehr als genug.
Minute um Minute verging und es wurde dunkler und dunkler. Wie wenn sich mitten am Tag der Mond vor die Sonne schob, die Vögel aufhörten zu zwitschern, die Grillen ihr Zirpen aufgaben und die Welt im Koma lag. Minute um Minute verstrich und es wurde finsterer und der Troll schien sich nur bei Nacht zu erheben, um sich seine fette Beute zu holen … die Fliegen mit seiner Zunge zu fangen …
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