Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Titel: Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schulz
Vom Netzwerk:
Betten fallen, aber man lässt mich nicht.
    »Dies ist eine staatliche Unterkunft. Sie müssen sich erst anmelden«, sagt der Diensthabende.
    »Können Sie mir eine Telefonnummer geben?«
    »Nein, die haben wir nicht.«
    »Und jetzt?«, frage ich meinen freiwilligen Hotelscout. Jetzt bleibt nur der Dharamsala, sagt er, die Pilgerunterkunft in der Stadt.
    Der Dharamsala liegt im Stadtzentrum an der Hauptstraße zwischen Geschäften und Wohnhäusern. Ein halb geöffnetes Gittertor mit einem Vorhängeschloss führt in einen Gang, an den sich der Tempel anschließt. Er ist offensichtlich nach den Eroberungen durch die Muslime im Mittelalter erbaut: relativ schmucklos, unscheinbar im Vergleich zu den alten Heiligtümern im Süden. Typisch nordindisch.
    Vor dem zentralen Schrein für den Affengott Hanuman kauern Männer und Frauen in Decken auf dem Boden und
beten Mantras. Weitere Gläubige treten ein, schlagen die Glocke, werfen sich auf den Boden und umrunden das Heiligtum, in dem der Gott von einem kleinen Standventilator belüftet wird. Ein Priester in weißem Dhoti und gelbem T-Shirt entzündet in einer Nische Räucherstäbchen und steckt sie in die löchrige Ziegelwand des Tempels. Eine Frau spritzt Wasser aus einer Messingkanne zu der Statue hinüber. Ein Junge zerschlägt eine Kokosnuss vor dem Affengott. Er streut kleine Splitter zu den Füßen der Statue aus. Den Rest des Opfers sammelt er in eine grüne Plastiktüte, mit der er den Tempel wieder verlässt.
    In einem Innenhof neben dem Heiligtum liegt der Dharamsala, ein zweistöckiges Gebäude mit unverglasten Fenstern. Zwei junge Männer verwalten die Räume. Sie zeigen mir mein Zimmer. Es ist komplett leer. Von der Decke baumelt eine nackte Glühbirne, in die Wand sind ein paar Fächer eingelassen. Die Tür ist aus massivem Holz. Die beiden schieben ein Bettgestell aus Holz hinein. Ich frage sie nach Bettzeug. »Wir holen etwas aus unserem Zimmer«, sagen sie und kommen kurz darauf mit einer verdreckten, übel riechenden Matratze zurück.
    Ich kaufe eine Decke, um etwas zum Unterlegen auf dem Bettgestell zu haben, ein Exemplar mit großzügigem braunrotem Blümchenmuster. In einer Apotheke frage ich nach Glukosepulver, dass ich mit Wasser zu einem Energiedrink für den nächsten Tag mischen will. Aber der Mann hinter dem Tresen verwickelt mich in eine Diskussion. »Elektrolyte sind besser«, behauptet er mit bockigem Gesichtsausdruck, die Arme vor der Brust verschränkt. Ich verstehe den Unterschied mangels Chemiekenntnissen auch nicht, als er ihn mir zum vierten Mal darlegt, und kaufe um des Friedens willen Elektrolyte. Based on WHO Formula steht auf der Packung.
    Neben dem Apotheker sitzt, leicht nach vorne gebeugt, ein schmächtiger, blasser und schweigender Mann. Der Laden ist bis unter die Decke mit Schachteln und Kartons vollgestopft.
    »Dieser Mann hier ist mein Bruder«, sagt der Apotheker und nickt zu dem Schweigenden. »Er ist Arzt.«
    Ich frage den Doktor, ob er sich meinen Fuß anschauen kann. Er bittet mich durch den aufschwenkbaren Tresen in das Geschäft. »Sie müssen den Fuß abends in warmem Salzwasser baden.«
    »Woher soll ich denn jeden Abend warmes Wasser bekommen? «, frage ich.
    »Kaufen Sie sich einen Tauchsieder.« Der Arzt zeigt auf ein Gerät, das in einem Karton auf einem Regal steht, kaum länger als ein Kugelschreiber, sicherlich kein untragbares Mehrgewicht für meinen Rucksack, höchstens stromschlaggefährdend. Ich werfe ihm einen unschlüssigen Blick zu und hocke mich auf einen alten Bürostuhl, den er mir zum Sitzen anbietet.
    Über den Bildschirm eines Schwarz-Weiß-Fernsehers auf einem Holzbrett über dem Verkaufsfenster tanzen spitzbäuchige Schönheiten zu Popmusik. Der Apotheker verteilt herzförmiges Konfekt. Der Kopf einer Alten, in eine Decke gehüllt, erscheint über dem Holztresen, er packt ihr ein paar Heftpflaster in eine kleine schwarze Plastiktüte. Als der Doktor ohne ein Wort zu sagen das Geschäft verlässt, wendet sich der Apotheker mit einem unerklärlichen Grinsen im Gesicht zu mir. »Für deinen Fuß gibt es auch noch ein anderes Mittel. Wenn du das heute Abend nimmst, sind deine Beschwerden morgen weg. Keine Schwellungen mehr, keine Schmerzen.«
    Er holt eine armlange Papppackung hervor, in der Doppelreihen großer länglicher Tabletten in Alu stecken. Flozen AA
lese ich. Das wichtigste Wirkmittel ist eine Substanz namens Alofenac, ich habe keine Ahnung, was das ist. Die Tabletten sind fast zwei

Weitere Kostenlose Bücher