Indigo - Das Erwachen
melden. Dank Mia wäre das reine Zeitverschwendung gewesen.
Rayne stellte Floyd etwas Salatbrei aus dem Kühlschrank zum Fressen hin und füllte seine Tränke neu auf â das würde eine ganze Weile reichen. Nachdem sie den Leguan versorgt hatte, suchte sie auf ihrem Handy nach einem aktuellen Foto von Luke, einem, das sie an einem seiner besseren Tage in Haven Hills gemacht hatte, an dem er sie fast erkannt hätte.
Auf seinen hübschen Zügen lag ein schiefes Lächeln, und seine schönen grauen Augen wirkten schläfrig, als ob er gerade aus einem langen Nickerchen aufgewacht sei. Es war eins ihrer Lieblingsbilder von ihm, weil sie darin den kleinen Jungen erkennen konnte, der er einmal gewesen war. Sie schlüpfte wieder in ihre Lederjacke, schnappte sich den Schlüssel zu ihrem Motorrad und schloss die Wohnung ab. Sie würde Lucas selbst suchen, und anfangen würde sie in dem 24-Stunden-Supermarkt, von dem aus er angerufen hatte.
Anders als ihre Schwester hatte Lucas weder die Polizei auf seiner Seite noch eine Kirche, auf deren Geld er bauen konnte. Luke hatte niemanden â bis auf sie. Und in einem Punkt war sich Rayne absolut sicher.
Mia verschwieg ihr etwas über Lucas. Hundertprozentig .
Wenige Minuten später
Bevor Mia zum Wagen ging, in dem Officer Preston auf sie wartete, musste sie noch einen Anruf hinter sich bringen. Sie war nicht sonderlich erfreut darüber, mitteilen zu müssen,dass Lucas sich nicht bei Rayne versteckte. Wie hatte das alles nur so ein Schlamassel werden können? Es beunruhigte sie, dass ihre Schwester von Station 8 wusste. Wie konnte Lucas davon erfahren haben? Wie konnte er bei all den Medikamenten, die man ihm verabreicht hatte, von diesem streng geheimen Teil der Klinik wissen, der in direkter Verbindung mit der Kirche und ihren Ãberzeugungen stand? Nicht einmal Mia wusste genau, was dort vor sich ging. Sie wusste nur, dass auf Station 8 unter ausschlieÃlicher Verantwortung der Kirche mit recht unkonventionellen Methoden an harten Fällen gearbeitet wurde â die letzte Hoffnung für Patienten, die auf traditionelle medizinische Behandlungen nicht reagierten. Sie hatte gehofft, dass Dr. Haugstad die Verlegung von Lucas würde verhindern können, doch jetzt würde sie wahrscheinlich niemals erfahren, was für Pläne die Ãrztin mit ihrem Bruder gehabt hatte. Und im Augenblick hatte sie auch keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Beim zweiten Klingeln meldete sich am anderen Ende der Leitung eine heisere Stimme.
âIch binâs. Er war nicht da.â
âEr ist Ihr Bruder, Mia. Wo könnte er stecken?â
Sie kannte den Mann nur bei seinem Nachnamen: OâDell. Beim Klang seiner tiefen, kehligen Stimme bekam sie jedes Mal eine Gänsehaut â als würde er viel zu dicht neben ihr stehen und ihr ins Ohr flüstern. Aber es war wichtig, dass er ihr vertraute. Die Church of Spiritual Freedom hatte den Mann damit beauftragt, unauffällig nach Lucas zu suchen und dafür zu sorgen, dass nur Beamte, die unter dem weitreichenden Einfluss der Kirche standen, in den Fall involviert wurden. Mia hatte keine andere Wahl als zu kooperieren. Die Kirche musste unbedingt die Kontrolle über diese Angelegenheit bewahren, um eine öffentliche BloÃstellung zu verhindern. OâDell war der Schlüssel zu allem. Wenn er fand, dass Mia versagt hatte, würde sie niemals in den inneren Vertrauenskreis der Kirche aufsteigen. Und das kam gar nicht infrage.
âIch werde mit Officer Preston zu unserem alten Haus fahren. Es ist der letzte Ort, an dem wir eine Familie waren. Vielleicht versteckt er sich dort.â
In Wahrheit hatte Mia keine Ahnung, wohin Lucas sich wenden würde. Da er zu Fuà unterwegs war, war es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie ihn in ihrem alten Haus finden würde. Aber so konnte sie Zeit schinden und in Ruhe darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte. Sie musste Luke finden, und dafür brauchte sie OâDells Hilfe.
Alles hing davon ab.
âRufen Sie mich an, wenn Sie dort warenâ, sagte OâDell. Er legte auf, ohne ihre Antwort abzuwarten. Kein gutes Zeichen.
Wo konnte Luke nur sein?
Die Rennerei hatte Lucas seine letzte Kraft gekostet. Seine Brust hob und senkte sich schwer, seine Beine brannten und ihm war schlecht. In den Schatten einer dunklen Seitengasse beugte er sich vor und würgte, doch es kam nichts hoch. Sein Magen war
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