Indigo - Das Erwachen
was die Tochter ihrer Mutter noch hatte sagen wollen. Und so kam es zu seiner neuen Show.â
Auf Raynes Armen bildete sich eine Gänsehaut. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein musste, so wie Gabriel mit den Toten verbunden zu sein und Stimmen zu hören, die sich nicht ignorieren lieÃen. Wie blendete er sie aus? Und wollte er das überhaupt? Vielleicht war Lucas so wie er gewesen, doch die Medikamente und die Ãrzte hatten ihn seiner Fähigkeit beraubt. Ein Teil von ihr bedauerte Lukes Verlust, doch ein anderer war sich nicht sicher, ob er mit den Qualen, die solche Fähigkeiten mit sich bringen mussten, überhaupt hätte umgehen können.
Was hätte sie selbst gewollt, wenn sie an seiner Stelle gewesen wäre? Rayne konnte es beim besten Willen nicht sagen.
In Gabriels Nähe zu sein und zu sehen, was Normalität für ihn bedeutete, half ihr, Lucas auf ganz neue Weise zu verstehen. Ihn zu lieben war nicht genug gewesen. Für ihren Bruder wäre es wichtig gewesen, dass sie für ihn kämpfte, und zwar schon vor langer Zeit. Dass sie ihn als das akzeptierte, was er war. Vielleicht war es ja ein Schritt in die richtige Richtung, wenn sie kein Geheimnis mehr aus Luke machte.
âIch glaube, mein Bruder Lucas ist wie Gabriel. Er steckt in Schwierigkeiten. So bin ich auf Ihren Neffen gestoÃen.â
Sie redete einfach drauflos, lieà die Worte ungefiltert aus sich herausströmen. Es fühlte sich an, als würde sie ein Pflaster von ihrer Haut ziehen. Sie wollte kein Mitgefühl, kein Mitleid, aber sie musste alles ans Licht bringen â auch die groÃe Frage, die sich ihr wegen Gabriel stellte.
âMeine Eltern sind beide tot. Wenn ich dasselbe Talent hätte wie Gabriel, würde ich sie ein letztes Mal sehen wollen.â
Onkel Reginald erwiderte nichts. Er hörte einfach zu.
âFrederick ist bei Ihnen geblieben ⦠nach seinem Todâ, sagte sie. âIst Kathryn auch hier?â
Der Mann sah sie scharf an und öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch dann hielt er inne und blickte auf, zu einem Punkt hinter Rayne. Die Antwort auf ihre Frage gab ihr eine andere Stimme.
âNein, ich habe sie hier niemals spüren können.â Gabriel hatte den Raum betreten und vermutlich alles gehört.
Rayne fuhr in ihrem Stuhl herum. Sie wollte sich entschuldigen, doch er lieà ihr keine Chance.
âJedes Mal, wenn ich meine Fähigkeiten nutze, ist ein Teil von mir auf der Suche nach ihr, aber sie kommt niemals zu mir. Ich weià auch nicht, warum.â
13. KAPITEL
Bristol Mountains
âMein lieber Junge, ich weiÃ, wie sehr du sie vermisst. Mir fehlt sie ja auchâ, erwiderte Onkel Reginald ernst. âWahrscheinlich lebe ich deswegen noch immer alleine in diesem Mausoleum. Alles hier erinnert mich an Kathryn. Aber du willst doch sicher nicht, dass dich der Geist deiner Mutter heimsucht? Auch um ihretwillen nicht.â
Gabriel antwortete seinem Onkel nicht sofort. Schweigend kam er ins Esszimmer und lieà sich in einen Stuhl neben Rayne fallen. Er trug Jeans, ein schwarzes T-Shirt und ein braunes Karohemd. Nachdem er sich gesetzt hatte, starrte er angespannt ins Nichts.
âEs müsste ja nicht für immer seinâ, sagte er dann. âIch hatte eher so ⦠an eine Woche gedacht.â
Sein Onkel grinste.
âEine Woche. Ja, damit könnte ich sehr gut leben.â Onkel Reginald schüttelte den Kopf. âDu hast recht, das war schon ausgesprochen rücksichtslos von ihr. Dass sie aber auch immer zuerst an sich selber denkt.â
Selbst Gabe konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, und Rayne lieà sich anstecken.
âRayne, fang doch bitte an, ehe das Essen kalt wirdâ, fuhr Onkel Reginald fort. âGabriel, schlag zu, mein Junge. Du brauchst deine Kraft!â
Nach seinem Ausflug zum Serviertisch wirkte es zunächst so, als würde Gabriel nicht viel herunterbringen. Doch als Rayne seinen Gesichtsausdruck bei seinem ersten Bissen bemerkte, musste sie lachen. Während seiner Zeit im Griffith Park konnte er sich nicht sonderlich gut ernährt haben. Jetzt versuchte er offenbar, genug in sich hineinzuschaufeln, um alles aufzuholen.
Sobald er es etwas langsamer angehen lieÃ, lenkte sein Onkel das Gespräch wieder auf ernstere Themen. Rayne und Gabriel erklärten ihm, wie sie sich kennengelernt hatten. Sie erzählten ihm alles, auch das mit den Visionen und
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