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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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unter die Armbanduhr. Er streifte die Ärmel seines Hemdes darüber.
    Robert wurde auf unangenehme Weise an seine Mutter erinnert, die auch immer diesen Satz sagte, wenn sie sich länger in seiner Nähe aufhielt, und damit immer recht hatte: Sie hielt tatsächlich alles aus. Angeekelt zog er sich auf die normale Distanz, also drei bis vier Meter, zurück, Max protestierte nicht, die grelle Absurdität ihres Lebens unter der Sonne nahm er hin wie eh undje, Robert wollte ihn am liebsten ohrfeigen, aber da zog Max sein T-Shirt aus.
    Als es noch einmal an der Tür klopfte und diese kurz darauf aufging, erschrak Max heftiger als Robert. Robert hatte seine Kleider noch an.
    Dr. Rudolph bedeckte sein Gesicht mit einer Hand und trat höflich einen Schritt zurück.
    – Schaufler, ich hab gesehen, dass du …, begann er.
    – Ich bin gleich weg, sagte Max.
    Er schaute Robert mit flehendem Gesichtsausdruck an, als könnte dieser ihn wegzaubern.
    Dann zog er seine Jeans und sein Hemd an und ging aus dem Zimmer.
    Die Tür wurde geschlossen, und Robert war allein. Er legte sich eine Hand auf die Stirn. Keine Wärme, auch keine Schmerzen.
    Am nächsten Tag wurden sie beide in das Biologiekabinett bestellt.
    Es war ein unangenehm riechender Raum mit einem unechten (weil aus farbigen Knochen bestehenden) Skelett in der Ecke. Ausgestopfte Vögel, Eule, Rabe und ein paar andere, allesamt Greifvögel, deren Namen Robert nicht kannte.
    Der Biologielehrer, Dr. Ulrich, war noch nicht da.
    Auf dem Tisch, an dem sie Platz genommen hatten, lag eine aufgeschlagene Zeitschrift. Daneben eine zweite. National Geographic. Auf ihrem Cover war ein Frosch mit durchsichtigen Beinen.
    Robert reckte den Kopf, um erkennen zu können, was in der anderen, der aufgeschlagenen Zeitschrift abgebildet war.
    Gänsehaut.
    Es war, als ob er durch einen Türspalt in ein merkwürdig sauberes, in seiner geometrischen Reinheit erschreckendes und unbegreifliches Traumzimmer blickte. Das Bild war nicht schön, es war grauenhaft, es sollte in seinem Betrachter Entsetzen hervorrufen.Es zeigte einen Regenwurm. Dieser Regenwurm war auf eine Art Draht gespießt und von dem wissenschaftlichen Assistenten des Versuchsleiters gerade in dem Augenblick fotografiert worden, als er mit seinem Körper ein gekrümmtes Fragezeichen bildete, die einzige Geste, mit der er auf das, was man mit ihm anstellte, reagieren konnte. Violinschlüssel, dachte Robert.
    Der Biologielehrer ließ noch immer auf sich warten. Max suchte andauernd seinen Blick, aber Robert wischte ihn immer wieder beiseite wie ein lästiges Insekt.
    Schließlich hielt er es nicht mehr länger aus und zog die Zeitschrift zu sich heran. Die Buchstaben, unendlich erleichtert darüber, endlich Sinn ergeben zu dürfen, glitten unter ihm dahin, aber er nahm nicht viel auf, er musste immerzu auf die kurze Fotostrecke (zu einem Comicstrip fehlten nur mehr die Sprechblasen) starren, mit der das Wurmexperiment dokumentiert wurde. Nach dem Aufspießen auf dem Draht trat (Abb.  2 ) offenbar eine kurze Pause in der Behandlung ein, vielleicht war auch etwas mehr Zeit vergangen. Jedenfalls lag der Wurm einfach da.
    Robert war immer noch viel zu aufgeregt, um sich auf das sinnspendende Gitter des stillstehenden Textes zu konzentrieren.
    Im nächsten Bild wurde das Tier von seinem Marterwerkzeug befreit. Robert stellte es sich vor: Es fiel auf den sandigen Boden einer kleinen Kiste (Abb.  3 ), die bereits unscharf im Hintergrund des ersten Bildes zu erkennen gewesen war, und begann dort loszukriechen, langsam und vorsichtig eine Körperkontraktion vor die andere setzend. Da mit hoher Wahrscheinlichkeit sein Gleichgewichtssinn von dem Draht beschädigt worden war, beschrieb es einen Halbkreis (Abb.  4 ). Robert betrachtete die Abbildung fassungslos vor Staunen. Kein Mensch hätte je eine solche Ruhe ausstrahlen können, nachdem er dermaßen in die Mangel genommen worden war. Ein Drahtgestell durch den Kopf gezogen, durch das Gehirn … Aber hier gab es eine Kreatur, die trotz der entsetzlichen Folter über keinerlei Vorstellung von Rache oder Selbstverteidigung verfügte. Das Tier kroch einfach durch den Sand inRichtung des Erdlochs, aus dem es vor einiger Zeit gezerrt worden war. Es wollte wieder zurück zu seinen Artgenossen, sich in ihrer Gegenwart ringeln und auf chemische Botenstoffe reagieren. Vielleicht fand es, dass es nun genug gequält worden war, und setzte einfach einen Ganzkörper-Ringelschritt vor den anderen,

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