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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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letztes Jahr. Felix sei heute nicht mehr am Institut, aber zumindest in der Verbreitung von proximity awareness in der Bevölkerung aktiv.
    Dr. Rudolph wiederholte den Satz auf eine eigentümliche Weise, fast so, als sei es ein Mantra oder eine sprachliche Konvention wie das eilig hinter den Namen eines Verstorbenen gesetzte Gott hab ihn selig.
    Und dann natürlich Max, sagte Dr. Rudolph, das sei ein wirklich ungewöhnlicher Fall, weil niemand etwas spüren konnte, zumindest anfangs nicht, er leide wahrscheinlich an einer ganz seltenen Spielart der Proximitätsverzerrung.
    – Manchmal stellt die Forschung ihre Kinderschuhe eben zu früh in den Schrank.
    – War das derselbe Max, den wir vorhin …?
    – Jaaa, sagte Dr. Rudolph und nickte stolz.
    – Aha.
    – Der Felix ist inzwischen reloziert, aber beim Max ist das Problem weniger ein hormonell – 
    – Entschuldigung, aber was bedeutet reloziert?
    Dr. Rudolph schaute mich erstaunt an.
    – Locus. Lateinisch für der Ort. Relokation. Relozieren.
    – Also meinen Sie, er ist in eine andere Schule versetzt worden?
    – Nun ja, sagte Dr. Rudolph. Das könnte man so sagen. Wissen Sie, Herr Seitz, die Welt funktioniert für Kinder mit eingeschränkten sozialen Optionen ein wenig anders als für uns. Wie ich immer sage: Es gibt keine Happy Ends in solchen Dingen. Aber Fair Ends kann man doch verlangen. Fair Ends, wissen Sie?
    Ich nickte.
    – Fairends, wiederholte Dr. Rudolph lachend. Fairends! Darauf kann man sich immer verlassen. Dass die eintreten.
    Es schien für ihn etwas Wohltuendes in diesen Worten zu liegen. Fast wie eine süße Erinnerung, die er damit verband.
    Wir gingen wieder durch den schmalen Korridor in Richtung Garten. Als wir durch die Tür ins Freie traten, sah ich in einiger Entfernung zum Gebäude zwei Jugendliche, die sich miteinander unterhielten. Wie zwei Landvermesser standen sie einander gegenüber und gestikulierten. Ihre Stimmen waren nicht zu hören. Je länger ich sie beobachtete, desto unsicherer wurde ich, was an ihren die mündliche Kommunikation ergänzenden Gebärden so beunruhigend wirkte. Dann wurde mir klar, dass es ihre Sanftheit sein musste. Besonders eine Geste, die jeder der beiden in regelmäßigen Abständen ausführte, erinnerte mich an die Art, wie mir als Kind von einem Erwachsenen eine Bocciakugel oder ein anderes Spielzeug zugeworfen wurde: Man bewegte die Hand beinahe kraftlos – als wünschte man, es möge gar keinen Parabelflug des Objekts geben – nach oben und entließ den Ball in das Schwerefeld des Planeten, der dann für den Rest sorgte, für die Bahn und die Beschleunigung, bis in meine offenen Hände.
Das Zonenspiel
    Die beliebtesten Sportarten unter den Schülern des Instituts waren Völkerball, Fußball, Tennis. Und einmal im Monat wanderten sie zu einem in der Nähe gelegenen Golfplatz und prügelten dort kleine kreideweiße Bälle über ein siebzehn Hektar großes Gebiet, aber dieser Service werde nicht von allen Eltern unterstützt, so Dr. Rudolph, im Augenblick seien nur drei Kinder aktive Golfer. Im riesigen Pausenhof (der von allen Bewohnern und Angestellten immer nur Garten genannt wurde) stand auch ein Tischtennistisch, aber auf ihm hatte jemand ein paar ineinandergesteckte Eimer abgestellt. Die etwas kleineren Eimer in die etwas größeren, so war eine Art blecherne Zikkurat entstanden, deren Zweck ich nicht erkennen konnte. Ein paar Kaffeetassen standen neben dem Turm auf der kaum Abnutzungsspuren aufweisenden Tischplatte.
    Das Verhalten der Kinder im Garten zu erleben sei schon ziemlich beeindruckend, aber Dr. Rudolph meinte, dazu käme es in diesen Tagen nicht allzu oft. Es sei jetzt nicht die richtige Zeit dafür. Eher im Herbst, da stünden sie alle tatsächlich andauernd im Garten herum, Gott weiß, warum. Das Zonenverhalten veränderesich im Herbst nämlich in auffallender Weise, da seien die persönlichen Grenzen plötzlich nur mehr dazu da, ausgelotet zu werden. Wie Drahtmodelle von Molekülen bewegten sich die Schüler dann durch den Hof, die Abstände zwischen ihnen stets gleich haltend, als hingen sie an Verbindungsrohren aus Stahl. Ein menschliches Mobile. Manchmal werde einem da allein schon vom Zuschauen schwindlig, so Dr. Rudolph. Von seinem Fenster aus könne er das Mysterium fast den ganzen Oktober über betrachten und es erinnere ihn sogar an die herbstlichen Starenschwärme auf Jütland, die er als Kind einmal gesehen habe, gigantische, sich nach

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