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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Eintausendfünfhundert Menschen. Na ja. Im Leben gibt es selten Happy Ends . Aber zumindest Fair Ends. Er musste nicht lange leiden. Es war immerhin Starkstrom, mehrere tausend Volt. Herr Setz?
    – Ja?
    – Möchten Sie sich kurz setzen? Sollen wir zurückgehen in den Speisesaal?
    – Nein, es geht schon, ich bin nur …
    – Gut, sagte Dr. Rudolph und nickte. Was ich damit sagen will: Edison hatte eine besondere Einstellung, wissen Sie? Er war sozusagen gut eingestellt. Bei der Entwicklung der Glühbirne hatte er einen Fehlversuch nach dem anderen zu überwinden, und keiner dieser Rückschläge hat ihn irgendwie berührt. Im Gegenteil, die Fehlversuche haben ihn wahrscheinlich sogar noch mehr angespornt. Er war, zumindest in dieser Hinsicht, genau wie die Natur selbst. Die Natur hat diese Kinder hervorgebracht. Und in gewissem Sinn sind sie wie Glühbirnen. Irgendwann einmal brennt es sich aus, sie brennen durch, die Wirkung erlischt. Bei den meisten im frühen Erwachsenenalter. Obwohl … es gibt auch da einander widersprechende Lehrmeinungen, aber gut, auf die Details kommt es hier wirklich nicht an. Was wichtig ist, ist die große, die langfristige Perspektive. Welche Führungspositionen werden diese Kinder einmal übernehmen? Das frage ich mich oft.
    Dr. Rudolph zeigte mir ein Gruppenfoto, das in dem schmalen Korridor jenseits des Speisesaals in einem prächtigen Holzrahmen an der Wand hing. Auf dem Foto waren etwa fünfzehn bis zwanzig junge Männer auf einem Fußballfeld zu sehen. Einige Meter weiter hing ein ähnliches Bild mit jungen Frauen. Beide Gruppen waren in einem Muster angeordnet, das als Quincunx bekannt ist, also in etwa so:

    Dieses überall in der Natur und der Kunst vorkommende Design wirkte auf mich sehr beruhigend und bestätigend. Wie Baumreihen standen die jungen Männer da, nichts konnte sie umwerfen. Ihnen gehörte die Zukunft, kein Zweifel. Auffallend war, dass der Abstand zwischen ihnen immer exakt gleich war, außerdem hatten sie alle die gleiche Kleidung an, ein weißes Hemd, dazu schwarze Hosen, und das – vermutlich zur Hose passende – Jackett hatten sie sich mit der rechten Hand über die Schulter gehängt. Alle trugen weiße Handschuhe. Das Foto schien an einem heißen Sommertag gemacht worden zu sein.
    Maturajahrgang 99 stand auf einer silbernen Plakette am unteren Rand des Bildes.
    – Unsere Hoffnung ist, dass bald die ganze Wand voll von solchen Fotos ist, sagte der Direktor und lächelte mich an. Alles vollgepflastert mit …
    Sein Gesicht wurde auf einmal wieder ernst:
    – Wissen Sie, ich erinnere mich noch genau an den Tag damals, ich war wirklich ungeheuer stolz, wissen Sie. Ich meine, die ganze Arbeit der letzten Jahre … und sie konzentriert sich in diesem einen Moment. Wir haben das damals dokumentiert fürs Ministerium, mit Kameras und auch einem Sachverständigen, der alles protokolliert hat. Es war uns wichtig, wir hatten lange auf diesen Tag hingearbeitet.
    Dr. Rudolph schien tatsächlich sehr bewegt zu sein.
    – Ein wirklich schönes Bild, sagte ich.
    – Wir haben unter mehreren auswählen können, sagte er. Luftaufnahmen, Nahaufnahmen. Und so weiter. Aber das hier war wirklich das beste von allen, es ist … majestätisch.
    Er berührte sanft den Rahmen des Bildes, als hinge es um den Bruchteil eines Millimeters schief.
    – Der Abstand zueinander ist beeindruckend, sagte ich. Immer absolut gleich. Wie mit dem Lineal abgemessen.
    – Da spricht der Mathematiker, sagte der Direktor mit einem anerkennenden Lachen. Jaaaa, das ist halt die Tragik und auch der Triumph der Kinder, gewissermaßen. Ihr Körpergefühl ist sphärisch, nicht … wie bei uns. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche topologische Räume. Und darauf muss man sich einlassen. Die können Entfernungen bis auf wenige Zentimeter genau einschätzen. Manche träumen sogar davon, von Entfernungsmessungen und so weiter. Ich übrigens auch, zumindest anfangs, haha …
    Er schüttelte den Kopf, als hätte er gerade eine peinliche Anekdote erzählt.
    – Haben Sie noch Kontakt zu den Schülern von damals?
    Sein Gesicht hellte sich auf.
    – Oh, ja, natürlich, ja, nicht in allen Fällen, aber schon, ja, ja, durchaus …
    – Und sind die Burschen und die Mädchen auch im Unterricht getrennt, oder …
    – Nein, nicht in den Klassen. Aber hier war es … mehr eine künstlerische Entscheidung, sie zu trennen. Aber ich weiß, was Sie meinen, Herr Setz. Wir achten

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