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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Christbaumspitze übergestülpt wird. Deswegen hebt der Papst auch andauernd seine Hände zum Segen, weil er dadurch endlich was sieht, aus seinen Stigmata-Knopfaugen. Ein Papst wirkt sich generell wie Christbaumschmuck auf das Weltgeschehen aus.
    Robert blickte sich hilfesuchend um.
    Er musste seine dummen Einfälle jemandem mitteilen. Sonst würde er in die Luft gehen. Implodieren und explodieren gleichzeitig. So wie diese frühen, in der Uralgegend aufgestellten Sowjet-Kernreaktoren. Ganze Landstriche verwüstet und die Kinder bis in die fünfhundertste Generation mit Wasserköpfen und missgebildetem Herzmuskel. Und Mütter bringen ihre Kinder zum einzigen Mann im Dorf, der einen Geigerzähler hat, und bitten ihn, sie zu messen, und freuen sich hinterher, wenn er einen besonders hohen Strahlungswert nennt, da sie glauben, der Geigerzähler sauge die Strahlung von ihren Kindern ab …
    Nicht einmal diese Vorstellung konnte seinen Lachdrang mildern.
    Verstrahlte Kinder, verstrahlte Kinder, verstrahlte Kinder, sagte er sich immer wieder vor und dachte an abplatzende Haut und Ascheregen, aber was er vor seinem inneren Auge sah, war nur ein dicker, fetter, mit Gelée Royale vollgepumpter Papst, der sich nach vorne neigte und die Kerzen auf seinem Arbeitstisch mit seinemstaubsaugerartig aufklaffenden Maul anbrüllte, bis sie erloschen. Dabei fiel ihm der Nikolaushut vom Kopf.
    Ein Papst ist ohne seinen Hut – um einige wenige Gramm zu leicht.
    Ein Papst ist ein Vertreter und geht von Haus zu Haus, von Erde zu Erde und von Staub zu Staub. Ein Papst ist nach einem anderen Menschen benannt – und trägt stets eine Nummer.
    Wie müsste es wohl sein, einen Papst ganz eng an sich zu drücken, seine dickbäuchige Prallheit an der eigenen Brust zu spüren?
    Roberts Lachen war nicht mehr lustig. Nur noch schmerzhaft. Ihm standen Tränen in den Augen.
    Max Schaufler schaute zu ihm herüber, und etwas Seltsames passierte. Er fing Roberts mitteilungskranken Blick auf, als wüsste er genau, was zu tun sei. Sie gestikulierten einander stumm zu, wie langweilig die Veranstaltung sei. Max sagte, dass er einen neuen Kung-Fu-Film habe, den sie sich gemeinsam anschauen könnten. Die Aussicht auf ein herrlich virtuoses Jackie-Chan-Ballett schaffte es tatsächlich, Robert ein wenig zu besänftigen.
    Er saß für den Rest der Veranstaltung relativ entspannt da, bis er sich, genau in dem Augenblick, da sie alle aufstehen und dem hohen Besuch aus Wien ihren müden und unkoordinierten Applausspenden mussten, mit einer ungewöhnlichen Heftigkeit fragte, was Max damit gemeint hatte: gemeinsam anschauen. Hatte er den Schlüssel zum Projektorsaal gestohlen? Vielleicht wollte er ihm einfach die DVD borgen. Robert hatte ihm vor einer Woche die Kinoversion von Batman geliehen. Der Anti-Hai-Spray, der Gipfel des Einfallsreichtums der Menschheit im Jahr 1966.
    Und dann klopfte es an seiner Tür. Max stand da, sein Gesicht glänzte wie nach einem Tennismatch, und in der Hand hielt er ein paar DVDs.
    Er fragte, ob er reinkommen dürfe.
    Robert ließ ihn herein, weil er wusste, dass Max mit Sicherheitder Erste sein würde, der Schwindel, Übelkeit und das ganze restliche Programm abbekäme.
    Max war sehr aufgeregt. Er hielt sich nicht in der gegenüberliegenden Zimmerecke auf (Robert hatte sich höflicherweise gleich zum Fenster verzogen), sondern stellte sich neben ihn.
    – Ich schaff’s, sagte er, ich halt es aus.
    Robert sah die Gänsehaut auf seinen Unterarmen.
    – Ach, komm, sagte er.
    Robert wusste, dass Max’ Zahl sehr hoch war. Und seine – er kannte sie inzwischen gar nicht mehr, irgendwas bei 150, 160 Sekunden. Manchmal schien es auch sehr viel länger zu gehen, das heißt, richtig lange … galaxienvorbeiziehmäßig lange … Der Grund, warum sie ständig auf ihn losgingen. Termite im Ameisennest.
    Und das Schlimmste dabei war, dass er die ersten Sekunden immer genoss, so wie eine Zigarette, die man anzündete, auch immer köstlich roch, erst später wurde der Qualm ekelhaft, und auch ihre Hände wurden ekelhaft, die ihn überall berührten, seine dünne Eisschicht durchbrachen mit ihren groben Fingernägeln, Arno war der Schlimmste, seine Finger waren behaart, und jedes Mal steckte er ihm den Finger bis zu den Härchen in den Mund und wurde angefeuert …
    – Ich halt es aus!, sagte Max.
    Es klang nicht mehr nach Autosuggestion, sondern nach einer echten Entdeckung. Jetzt stellten sich auch Roberts Haare auf. Gänsehaut bis

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