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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Mein erster Impuls war, Julia bei der Arbeit anzurufen und ihr von dem ungewöhnlichen Anblick zu erzählen. Es sieht aus wie ein Toilettenhäuschen, dachte ich, eines dieser altmodischen, die im Freien hinter Bauernhäusern stehen und in denen man Angst vor in die Höhe schießenden Ratten haben muss und im Winter an seinen eigenen Exkrementen festfriert und –
    – Kommen Sie, schauen wir rein, sagte Dr. Rudolph. Hier ist soweit noch alles in Ordnung, vorzeigbar. Da hinten stehen die Kabin… äh, die Lichtenberghäuschen von Rudi Tschirner und von Mareike, die schauen wir uns lieber nicht an. Schwierige Fälle, Sie verstehen. Da sind der Julius und der Maurice nichts dagegen.
    Ich hatte immer gedacht, nur Menschen in Romanen würden feixen. Ein Irrtum.
    – Wohnt hier jemand?, fragte ich.
    – Natürlich, sagte er. Während der Sommermonate ist es wirklich angenehm, und die Abstände sind auch nur hier einzuhalten, auf so einem Grundstück, sehen Sie, das geht bis ganz nach hinten, bei den Pappeln da hört es auf.
    Ich blickte in die Ferne, konnte aber nichts Pappelähnliches entdecken. Nur ein paar niedrige Bäume. Ein brauner Hochsitz ragte wie eine Zahnspange aus einer Baumkrone.
    – Soll ich die Tür schließen oder offen lassen?
    – Es ist okay, machen Sie sie ruhig zu, sagte ich. Ich bin nicht klaustrophobisch.
    – Der Lichtschalter ist hier, sagte Dr. Rudolph und drückte ihn.
    Das Erste, was mir auffiel, nachdem Dr. Rudolph die Tür geschlossen hatte, war die außergewöhnliche Hitze. Es mussten über dreißig Grad sein. Den ganzen Tag hatte die Hütte sich mit Wärme aufgeladen, hatte Sonnenenergie gespeichert und gab sie nun an mich weiter. Die Luft war stickig. Überall lag Staub. Nur auf manchen Gegenständen, die wohl öfter in Gebrauch waren, fehlte er.
    An der Innenseite der Tür klebte ein Stundenplan. An jedem Tag drei bis vier Kästchen, in verschiedenen Farben. Daneben hing ein Schlüssel an einem schmalen Brett; der Schlüsselanhänger war ein kleines silbernes Ufo. Fenster gab es keine. Auf die Glühbirne, die von der niedrigen Decke des Häuschens baumelte, war, vermutlich mit Lack, ein schwarzer Ring gemalt worden, der das Licht in zwei Hälften teilte.
    Der enge, aber merkwürdigerweise nicht unangenehme Raum erinnerte mich an einen Artikel, den ich vor Jahren in der Wochenendbeilage der Kronen Zeitung gelesen hatte. Er handelte von einer jungen Frau aus Bayern, die gegen beinahe alles allergisch war. Sie lebte, wie der schlampig und mitleidlos geschriebene Bericht nicht müde wurde zu betonen, in einem leeren Raum, ringsum bestand alles aus vollkommen unbehandeltem Holz (gegen das sie natürlich trotzdem ein wenig allergisch war), keinerlei Kunststoffe durften in ihre Nähe gelangen, nicht einmal Ziegelsteine und Beton, da sie davon sofort entsetzliche Hautausschläge und Atemnot bekam. Dreimal am Tag wurde ihr ein Tablett mit Essen und Medikamenten gebracht, die sie unter Qualen hinunterwürgte. Die Toilette war hinter einer massiven Tür verborgen, da bereits die Gegenwart des Wassers im Spülbehälter lebensgefährlich für sie sein konnte. Ich erinnerte mich noch gut an die Frustration, die ich beim mehrmaligen Durchlesen des Artikels empfand. Immer wurde noch ein Stein draufgelegt, ein schreckliches Detail nach dem anderen wurde preisgegeben, und irgendwann war es einfach nur noch lustig, und ich schleuderte die Wochenendbeilage in eine Ecke. Besonders verrückt hatte mich die Beschreibung der fortschreitenden Entwicklung ihrer Krankheit gemacht, ein an die Stationen eines Kreuzwegs erinnerndes Drama: vom Wohnwagen am Waldrand über die Holzhütte im Wald bis hin zum Haus aus Lehm in einer auf diese unheimliche Erkrankung spezialisierten Kolonie irgendwo in Holland oder Belgien – und trotzdem war die junge Frau schon einmal ins Koma gefallen und beinahe an ihrem eigenen Erbrochenen erstickt. Und, was machst du den ganzen Tag?, fragte der Journalist. Nichts, antwortete die junge Frau. Keine synthetischen Stoffe tragen, kein Shampoo verwenden, kein Duschgel etc. … an diese Details erinnerte ich mich wieder, und obwohl ich das auch schon, für einige Wochen zumindest, versucht hatte … (damals war ich langhaariger Keyboarder in einer Heavy-Metal-Band) … las ich meinen Bandkollegen, laut quietschend vor Begeisterung, den Artikel mehrmals vor, und wir gerieten darüber irgendwann in einen absurden Rausch, und wir improvisierten laut, geil und dissonant über diesen

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