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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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nicht am Strand bleiben, dort, wo sie auch nicht hingehören. Vermutlich wollten sie zum Rialto Beach. Früher gab es hier eine Holzbrücke über den Fluss, aber davon sind nur noch Überreste geblieben. Ein paar wacklige Bretter auf morschen Pfeilern, die die Kids als Sprungturm benutzen.
    Normalerweise gibt es hier nichts, wofür es sich lohnt, den Fotoapparat auszupacken. Doch der Junge hebt seine Kamera vor das Gesicht. Jeden Sommer verirren sich ein paar von den Touristen auf dem Weg nach Rialto Beach hierher ans Ende des Ortes. Sie suchen das Paradies und sehen sich stattdessen mit Müll und betrunkenen Indianern konfrontiert. Die meisten schauen sich um, als wären sie auf einem fremden Planeten gelandet, machen postwendend kehrt und kommen nie wieder. Aber es gibt auch welche, die sich durch nichts abschrecken lassen. Sie finden die kleinen Häuser mit der abblätternden Farbe, die umgedrehten Kanus auf den Holzböcken und die kaputten Netze malerisch . Nicht einmal Tamras unfreundliche Bedienung im »River’s Edge« kann solche Leute aus der Fassung bringen.
    Manchmal, da sieht Conrad La Push mit den Augen der Fremden, sieht, wie heruntergekommen und armselig es ist. Aber es ist sein Zuhause, der Ort seiner Kindheit. Der Ort, an dem sie ihn zurückgelassen haben, erst seine Mutter, dann der Großvater und nun auch Justin.
    Die halbe Portion mit den verschiedenfarbigen Augen macht Fotos, sogar vom Haus, in dem Conrad hinter dem Fenster steht und die beiden beobachtet. Obwohl der weiße Junge ihn gar nicht sehen kann, kommt Conrad sich vor wie ein Tier im Zoo. Das macht ihn derart wütend, dass er sich nicht einmal auf eine so einfache Sache wie den Abwasch konzentrieren kann. Ein Glas zerbricht, eine Scherbe dringt in seinen Daumen. Das Blut und der Schmerz holen ihn zurück.
    »Verdammt.«
    Sein Cousin Timmy kommt im Neoprenanzug ins Haus gerannt. Tropfnass. Er grinst und schwingt triumphierend einen Geldschein.
    »Fünf Dollar für ein Foto«, ruft er. »Cool, oder? Lass ja die Finger davon, ich hol mir die Kohle später.« Ganz schnell ist der Junge wieder draußen.
    Was ist bloß aus uns geworden?, denkt Conrad. Aus den stolzen Quileute, den geschicktesten Walfängern und Kanubauern an der Küste? Den Nachfahren von Wölfen.
    Da er auf die Schnelle nichts anderes findet, wickelt er ein Geschirrhandtuch um seinen blutenden Daumen und beginnt, fluchend nach einem Pflaster zu suchen.
    Ein Museum hatten wir nicht gefunden, vermutlich gab es keines. La Push besitzt eine unglaubliche Magie, dachte ich, als Janice und ich den Ort wieder verließen, doch über allem liegt auch eine große Traurigkeit. Ich konnte mir das Leben an einem so eingegrenzten Winkel der Welt kaum vorstellen, wo mit Sicherheit jeder alles über einen wusste. Und ich fragte mich, was die jungen Leute hier taten, wenn sie nicht von einer halb zerfallenen Brücke in den Fluss sprangen und sich von den Touristen dafür bezahlen ließen.
    Im »Lonesome Creek Store« kauften Janice und ich uns etwas zu trinken, bevor wir über den Strand ins Camp zurückliefen. Inzwischen war es richtig heiß geworden und der Erkundungsgang hatte uns beide durstig gemacht.
    »Wo wart ihr denn so lange?« Alec hatte die Hände in die Hüften gestemmt und musterte seine Schwester und mich spöttisch. »Habt ihr euch in La Push verlaufen?«
    »Smilla wollte den ganzen Ort sehen, bis zum letzten Haus«, sagte Janice. »Das ist ja ein total heruntergekommenes Kaff. Kaputte Häuser, Müll und Kids, die sich ein Foto mit fünf Dollar bezahlen lassen. Mich bekommen keine zehn Pferde mehr dorthin.«
    Alec sah mich fragend an, als wolle er meine Meinung dazu wissen. Ich hob die Schultern. »Ich finde, es gibt schlimmere Ecken.« Das war gelogen, ich war immer noch aufgewühlt von dem, was ich gesehen hatte, aber Janices Schilderung kam mir auf einmal reichlich übertrieben vor. »Es gibt übrigens ein Restaurant im Ort«, sagte ich, um auch etwas Positives zu vermelden.
    Auf einmal hatte ich die Aufmerksamkeit aller.
    »Stimmt das?«, fragte Brandee an Janice gewandt. Als ob man das, was ich sagte, sowieso nicht ernst nehmen konnte.
    Janice nickte. »Ja, es nennt sich ›River’s Edge‹.«
    »Seid ihr drinnen gewesen?«, fragte Laura neugierig.
    »Nein.« Janice schüttelte den Kopf. »Aber wir können ja heute Abend mal zusammen hingehen. Vielleicht ist das Essen gut. Die Preise waren jedenfalls ganz okay. Eier, Speck und Hash Browns für drei fünfzig. Der Fisch war

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