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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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was die Bewohner von La Push an einem Dienstagvormittag machten, zu sehen waren sie jedenfalls nicht dabei.
    Janice seufzte. »Wenn ich alleine zurückkomme, macht Alec mir die Hölle heiß. Er hat von Mom den Auftrag, auf dich aufzupassen.«
    Wie konnte ich das bloß vergessen. »Ich bin kein Kind mehr«, erinnerte ich Janice. »Auch wenn ich vielleicht so aussehe.«
    Sie lachte versöhnlich und verdrehte die Augen. »Nee, lass mal. Ich komm schon mit, wenn es nicht zu lange dauert.«
    Schnell schoss ich noch ein paar Fotos vom Hafen und den Booten. Klick. Klick. Klick . Wahre Schönheit offenbart sich nicht auf den ersten Blick, hatte Großvater Tormar zu mir gesagt. Die Kunst ist, im Gewöhnlichen das Besondere zu entdecken.
    Der Hafen von La Push lag geschützt hinter einer befestigten Nehrung, die – wie ich jetzt sehen konnte – fast bis zur Jamesinsel führte. Am Fuße der Insel ergoss sich der Quillayute River in den Pazifik.
    Janice und ich liefen flussaufwärts, immer die Hafenmole entlang, doch irgendwann ging es nicht mehr weiter, wir stan den am Ende des Ortes. Hier kam der Quillayute River aus dem Landesinneren. Es war ein großes, schilfbewachsenes Delta und die Nehrung führte bis zum Rialto Beach auf der anderen Seite des Flusses.
    Von einer zerfallenen Holzbrücke sprangen Indianerkinder in den blauen Fluss. Vier Jungen zwischen zwölf und vierzehn in schwarzen Neoprenanzügen und ein Mädchen im bunten Badeanzug. Es schien, als könne ihr die Kälte des Wassers nichts anhaben. Sie hielt sich die Nase zu und sprang genauso furchtlos wie die Jungen.
    Ein Wolfshund und ein schwarzer Labrador standen am Ufer halb im Wasser und rauften sich um einen Stock. Der Wolfshund kam mir bekannt vor. Das war Boone, der unseren weißen Geruch nicht mochte. Meine Nackenhaare richteten sich auf, als er pfeilschnell auf uns zugerannt kam.
    Aber da ertönte ein Pfiff, der Hund machte kehrt, rannte in einem scharfen Bogen zurück und sprang ins Wasser. Ich widerstand dem ersten Impuls, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden, und zückte meine Kamera, um die springenden Kinder zu fotografieren. Klick, klick, klick . Die Schönheit des Augenblicks.
    Als einer der Jungen bemerkte, dass ich ihn und seine Freunde fotografierte, machte er eine unmissverständlich drohende Geste. »Fünf Dollar für ein Foto von einem echten Quileute-Indianer«, rief er.
    Ich ließ die Kamera sinken, wusste nicht, ob ich über seine Dreistigkeit lachen oder mich ärgern sollte. Ich kannte die Regeln nicht und ich hatte keine Lust auf Missverständnisse. Fragend sah ich Janice an und sie hob die Schultern. Ihr war egal, ob ich dem Jungen Geld gab oder nicht, sie wollte nur hier weg.
    Der echte Quileute, ich schätzte ihn auf zwölf oder dreizehn, kam aus dem Wasser. Er sah aus wie eine Seerobbe mit seinem nassen schwarzen Haar und dem schwarzen Anzug. »Wie viele Fotos hast du gemacht?«, fragte er und deutete auf meine Kamera.
    »Eins«, log ich und kramte einen Fünf-Dollar-Schein aus meiner Hosentasche.
    Ein zufriedenes Grinsen erschien auf seinem dunklen Gesicht. Er schnappte sich den Schein und rannte damit zu einem blauen Haus mit einem halb überdachten, weiß gestrichenen Balkon, auf dem Unmengen Feuerholz gestapelt waren. Das letzte Haus an diesem Ende der Siedlung hatte einen frischen Anstrich und es lagerte auch kein Müll im Vorgarten. Direkt an der Veranda stand ein von der Sonne ausgeblichener Totempfahl. Dieser Pfahl schien wirklich alt zu sein und ich ließ es mir nicht nehmen, ihn zu fotografieren.
    »Hör lieber auf damit«, sagte Janice. »Für ein Foto von einem echten Quileute-Totempfahl will sein Vater vielleicht zehn Dollar.«
    Der Junge verschwand im Haus und kam gleich darauf wieder herausgerannt, um zurück in den Fluss zu springen. Vermutlich freute er sich so über seine unerwartete Einnahme, dass er uns längst vergessen hatte.
    Die beiden Hunde balgten sich immer noch knurrend um den Stock und ich sah ihre Fangzähne in der Sonne blitzen.
    »Können wir jetzt endlich zurückgehen?«, fragte Janice ungeduldig.
    »Ja, klar«, erwiderte ich.
    Mit den Händen im Abwaschwasser steht Conrad da und beobachtet das große blonde Mädchen und den schmächtigen Jungen mit den verrückten Augen. Eins blau, eins grün. So etwas hat er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Selbst wenn er es nur ungern zugibt: Diese Augen sind ihm unheimlich.
    Er fragt sich, was die beiden Surfer hier wollen. Warum können sie

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