Indigosommer
Clique. Brandee erzählte gerade, wie sie in New York einmal mit Heath Ledger auf der Bühne gestanden hatte – nur ein paar Wochen vor seinem Tod. Janice und Laura hingen beeindruckt an ihren Lippen, doch Alec und Josh blickten skeptisch drein und lenkten das Gespräch geschickt aufs Surfen, was die Unterhaltung wieder belebte.
Ich versuchte, mit Interesse dem zu folgen, was sie erzählten, und ein paar Dinge abzuspeichern. Zum Beispiel, dass der Wind ideal zum Surfen war, wenn er vom Land kam. Oder dass man erst mit dem linken, dann mit dem rechten Fuß aufstand und dass man das Brett mit dem vorderen Fuß nach unten drücken musste, um schneller zu werden.
Zugegeben, ich trug nicht viel zur Unterhaltung bei. Vom Surfen hatte ich keine Ahnung und meine Gedanken drifteten immer wieder ab.
»Mann, hab ich einen Hunger«, stöhnte Josh schließlich laut.
»Ich auch. Die Wellen machen hungrig«, schloss sich Alec an.
»Mein Gott, so lange kann das doch nicht dauern, wir sind schließlich die Einzigen hier.« Brandee sah auf ihre Armbanduhr und schüttelte den Kopf. »Wenn ich noch lange hier sitzen und warten muss, werde ich wahnsinnig.« Sie erhob sich mit einer theatralischen Geste und verschwand hinter der Küche, wo der Pfeil mit dem WC-Schild hinzeigte.
Als unser Essen ein paar Minuten später endlich kam, wurde es von einer anderen jungen Indianerin gebracht, die meiner Schätzung nach auch nicht älter als achtzehn war. Die Gespräche verstummten, als sie die verschiedenen Gerichte auf dem Tisch verteilte. Ihr Name war Tamra, wie ihr Namensschild verriet.
Tamra war eine auffallende Schönheit mit einem dunklen Teint, hohen Wangenknochen, einer edlen Nase und Mandelaugen, die die Farbe von Brombeeren hatten. Ihr Lächeln, das sie sich mühsam abrang, entblößte ihren einzigen offensichtlichen Makel: eine Lücke zwischen den Schneidezähnen. Aber diese Zahnlücke zwischen den vollen Lippen ließ sie noch sinnlicher erscheinen.
Tamras Lächeln war jedoch ohne Freundlichkeit und ihre Gesten zeugten von Frustration und Langeweile. Vermutlich hasste sie es, uns zu bedienen.
»Tamra!«, schrie jemand aus der Küche. Sie verdrehte die Augen und rief »Ich komme ja schon« zurück.
»Scharfe Braut«, sagte Josh, als das Mädchen hinter der Trennwand verschwunden war.
»Nicht übel«, pflichtete Alec ihm grinsend bei.
Dafür erntete er einen missbilligenden Blick von Brandee, die inzwischen von der Toilette zurückgekommen war und hinter ihm stand.
»In dem Alter haben die Indianermädels meistens schon zwei Kinder«, bemerkte sie spitz, als sie sich setzte, und ich fragte mich, woher Brandee das wissen wollte.
»Das glaub ich nicht.« Josh nahm seinen Hamburger in beide Hände und machte sich darüber her. »Ihre Figur ist allererste Sahne«, bemerkte er mit vollem Mund.
Die Indianerin kam wieder an unseren Tisch, um das restliche Essen zu bringen. Ich musterte sie verstohlen. Josh hatte recht: lange Beine, schmale Hüften und auf ihrem Rücken lag ein dicker, glänzender Zopf, der ihr bis über die Taille reichte. Dazu dieses edel geschnittene Gesicht und die makellose Haut. Ich stellte mir ihr Gesicht vor, wie es fotografiert wirken würde. Unwillkürlich betrachtete ich sie in Gedanken durch die Linse der Kamera. Tamras Gesicht war schön, aber die eigentliche Ausstrahlung kam durch die Zahnlücke. Ohne Lächeln sah man dieses Detail nicht und das Indianermädchen wirkte wie eine von den Retortenschönheiten auf dem Laufsteg.
Wahrscheinlich waren Modelscouts nicht in Indianersiedlungen wie La Push unterwegs, sonst würde diese Tamra nicht in einem tristen Restaurant wie dem »River’s Edge« bedienen, sondern längst in New York auf dem Laufsteg stehen.
Nachdem Tamra wieder in der Küche verschwunden war, stürzten wir uns ausgehungert auf unser Essen. Auch mir knurrte schon seit einiger Zeit der Magen, obwohl ich nicht wie die anderen im Wasser gewesen war. Mein Lachs war frisch und schmeckte gut, wie ich zufrieden feststellte. Sogar die Pommes waren knusprig – ich konnte mich nicht beklagen.
Brandee, die sich panierten Codfisch bestellt hatte, aß mit spitzen Fingern ein paar Pommes von ihrem Teller und ließ sich mit angewidertem Gesicht über die Zustände auf der Toilette aus: kaum noch Toilettenpapier, keine Seife, keine Papierhandtücher mehr. »Ziemlich eklig«, meinte sie, »das ist eine Unverschämtheit.« Sie sprach viel zu laut, als würde sie auf einer Theaterbühne stehen.
Josh
Weitere Kostenlose Bücher