Indigosommer
an meine Freundin Sanne. Ich war so richtig ins Schwärmen geraten, als schließlich alle so weit waren, dass wir ins »River’s Edge« aufbrechen konnten.
Die erste Surfsession am First Beach hatte die Clique in eine euphorische Stimmung versetzt, denn die Wellen waren zwar nicht sehr hoch, aber ideal zu surfen gewesen. Fünfzig-bis Hundert-Meter-Ritte, hatte Mark begeistert festgestellt. Und laut Alecs Gezeitenkalender und der Windvorhersage würden die Wellen am nächsten Tag noch etwas größer werden.
Auf dem Weg in den Ort liefen Alec und Brandee voran. Es dämmerte schon und sie gingen so dicht nebeneinander, dass ich nicht erkennen konnte, ob sie sich an den Händen hielten oder nicht. Ich konnte noch immer nicht richtig einschätzen, in welcher Beziehung sie zueinander standen. Josh und Alec schliefen in einem Zelt und Brandee teilte sich ihres mit Laura. Mark hatte ein Zelt für sich, das brauchte er auch, so groß und kräftig wie er war, und wir hatten ein Extrazelt für Sachen und Vorräte mitgenommen. Aber mir war längst der Verdacht gekommen, dass das Vorratszelt irgendwann einem von ihnen als Schlafplatz dienen sollte.
Janice unterhielt sich mit Mark (er redete tatsächlich, aber wahrscheinlich sprachen sie über Wellen) und ich fand mich zwischen Laura und Josh wieder. Laura erzählte von ihrer zwölfjährigen Schwester Maya, die sauer gewesen war, weil sie nicht mit uns nach La Push kommen durfte.
»Maya ist ganz schön in dich verknallt, Josh«, sagte sie.
Er lachte kopfschüttelnd. »Sie ist ja auch süß. Noch drei Jahre auf die Weide und sie wird so hübsch wie ihre große Schwester.«
Ich hatte das Gefühl, die beiden flirteten miteinander, deshalb blieb ich ein paar Schritte zurück, um nicht mehr zwischen ihnen zu laufen. Aber es war nicht mehr weit bis zum Hafen und schon bald standen wir alle zusammen vor dem »River’s Edge«.
»An das Gebäude kann ich mich erinnern«, sagte Alec, »aber das Restaurant ist neu. Na, da bin ich aber gespannt.«
»Und ich habe einen Bärenhunger«, bemerkte Josh.
Alec voran betraten wir einen riesigen Raum, in dessen Mitte sich, abgetrennt durch dünne Wände, die Küche befand. Draußen hatte ich gelesen, dass das Restaurant früher als Bootshaus gedient hatte. Es war von den Wänden bis zur hohen Decke, unter der sich dicke Abzugsrohre entlangzogen, mit hellem Holz verkleidet. Die Lüftung über der Küche dröhnte unangenehm laut.
Ein Schild im Eingangsbereich wies darauf hin, dass man platziert wurde. Das Restaurant war völlig leer und vom Personal war auch niemand zu sehen. Josh machte mit einem ungeduldigen »Hallo-ho« auf uns aufmerksam.
Eine junge Indianerin mit einem schmuddeligen, ehemals weißen Schürzchen erschien und meinte gelangweilt, dass wir uns hinsetzen könnten, wo wir wollten. Ich erkannte sie wieder, sie war eines der Mädchen vom Supermarkt, die mit der misslungenen Dauerwelle, und ich fragte mich, wie man sich so verunstalten konnte. Bestimmt hatte das Mädchen schönes glattes Haar.
Ich hätte gerne am Fenster gesessen, um hinter der Jamesinsel die Sonne untergehen zu sehen, aber an den Fenstern gab es nur Vierertische. Also setzten wir uns an einen langen Tisch in der Mitte und die Indianerin nahm unsere Getränkebestellung auf. An ihrer Bluse steckte schief ein Namensschild. Sie hieß Valerie.
Es dauerte zwanzig Minuten, bis unsere Getränke kamen und wir bei Valerie unsere Bestellung aufgeben konnten. Ich entschied mich für gegrillten Lachs, der laut Karte direkt aus dem Quillayute River stammen sollte.
»Ziemlich seltsam, dass um diese Zeit keine Gäste hier sind«, sagte Laura und blickte sich um. »Nicht mal ein paar Einheimische.«
»Das bedeutet bestimmt nichts Gutes«, meinte Brandee und verzog das Gesicht. Sie hatte ihre Augen schwarz geschminkt und trug dunkles Rot auf den Lippen. Unter ihrer hellblauen Knitterbluse strahlte ein weißes Tanktop mit weitem Ausschnitt. Aber sie hätte auch einen Sack tragen können, selbst darin hätte sie noch gut ausgesehen. Ich dachte an ihren Wunsch, Schauspielerin zu werden. Na ja, eine begnadete Selbstdarstellerin war sie jedenfalls jetzt schon.
Keiner antwortete ihr. Die Atmosphäre im »River’s Edge« war so bedrückend, dass unsere Gespräche schließlich verebbten. Sogar Alec und der stets gut gelaunte Josh verstummten für eine Weile. Wir waren müde und hungrig und keiner von uns fühlte sich wohl in diesem Restaurant ohne Gäste.
Ich beobachtete die
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