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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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etliche Meter höher lag als der Strand und von dem aus man einen freien Blick auf das einstöckige Hotel mit Holzfassade und Blechdach hatte, das offensichtlich nagelneu war. »Whale Motel« prangte in Großbuchstaben an der Fassade, auf der auch ein großer geschnitzter Wal abgebildet war.
    Wie es aussah, wurde das »Ocean Park Resort« gerade um ein Restaurant und ein paar Stellplätze mit Wasser und Stromanschluss für Wohnmobile erweitert. Damit würde der Ferienpark zukünftig nahtlos in den Ort übergehen, denn nach einer räudigen Rasenfläche, die vermutlich als Sportplatz genutzt wurde, begann bereits der Hügel mit den großen Gebäuden.
    »Die Strandhäuser sind cool«, sagte Janice, »in so einem würde ich auch gerne wohnen. Da soll alles drin sein: Whirlpool, Kamin, Geschirrspülmaschine.«
    »Die kosten 280 Dollar die Nacht«, sagte ich.
    Janice seufzte.
    Wir stiegen auf den Hügel, und wie sich herausstellte, waren die beiden Häuser mit den blauen Blechdächern das alte und das neue Schulgebäude von La Push. Das alte Schulhaus war verkleidet mit verblichenem Holzschiefer, das neue, mit zwei frisch bemalten Totempfählen davor, erstrahlte in einem hellen Gelb. Das waren die Gebäude, die man vom Camp aus sehen konnte.
    Vom verwaisten Schulhof aus hatte man einen schönen Blick auf James Island und die kleinere Insel daneben. Der gelbe Sandstein der Inseln leuchtete in der Vormittagssonne. Janice und ich liefen am alten Schulgebäude vorbei und entdeckten dahinter ein riesiges, fast acht Meter langes Kanu, an dem jemand zu arbeiten schien. Ein Kanu aus einem einzigen Stamm. Fasziniert strich ich mit den Fingerkuppen über das grob behauene rötliche Holz.
    Wir gingen hinab ins Zentrum des Ortes. Neben einigen offiziellen Gebäuden: dem Postamt, dem Stammesbüro und der Polizeiwache, deren Fassaden und Dächer gut in Schuss waren, machte der Rest von La Push einen traurigen Eindruck. Kleine, kastenförmige Häuser, an deren schäbigen Fassaden sich Müll türmte. Reifenstapel, alte Netze und Fischreusen, schwarze Räucheröfen mit schiefen Abzugsrohren und kaputte Boote auf Holzböcken.
    Am Hafen entdeckten wir ein Restaurant mit dem Namen »River’s Edge«, und als wir uns dem Gebäude näherten, stieg mir der Geruch von Fisch und Frittieröl in die Nase.
    »Hey«, sagte Janice und ihr Gesicht hellte sich auf, »ein Restaurant. Das muss neu sein, auch wenn es nicht so aussieht. Alec hat gesagt, in La Push gäbe es nichts, wo man essen gehen könnte.«
    Der mit grauen Zederschiefern verkleidete Bau sah wahrlich nicht neu aus, aber das musste nichts heißen. Zwei große, in kräftigen weißen, grünen, roten und blauen Tönen bemalte Holzfiguren bewachten den Eingang. Mit ihren starren Augen und den Nussknackerzähnen schienen sie potenzielle Gäste eher abzuschrecken als anzulocken. Ich schoss ein paar Fotos von ihnen, im Ganzen und im Detail.
    Janice studierte die Speisekarte, die in einem Glaskasten neben dem Eingang hing, dann gingen wir weiter. Wir umrundeten kleine Müllhalden mit Plastikabfällen und liefen vorbei an den hässlichen Containern der »Quileute Seafood Company« zur Hafenmole, wo zerschrammte Fischerboote neben leuchtenden Segeljachten an den Holzstegen lagen. Ein altes Kanu dümpelte eingeklemmt zwischen Motorbooten, es war halb mit Wasser vollgelaufen.
    Im Wasser trieben Bierdosen und Plastikbecher. Unzählige Möwen saßen auf den Masten der Boote, einige stritten sich mit streunenden Hunden um ein paar Fischabfälle. Zwei dunkelhäutige Männer mit kräftigen Armen vertauten ein rostzerfressenes Boot, auf dessen schmierigem Deck Fische zappelten. Die Möwen kreischten und kreisten in Erwartung von weiteren Leckerbissen über den Männern.
    »Können wir jetzt umkehren?«, fragte Janice. Ich sah ihr an, wie deprimierend das Ganze auf sie wirkte, und im Grunde konnte ich ihr das nicht verübeln. Auch ich sah natürlich, was Janice sah, aber ganz offensichtlich mit anderen Augen. La Push faszinierte mich, auch wenn ich noch nicht benennen konnte, woran das lag. Janice war nur meinetwegen hier und ich hatte ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber – aber ich war zu neugierig, um jetzt umzukehren.
    »Ich würde gerne noch bis zum Ortsende gehen«, sagte ich zögernd und zeigte in die andere Richtung. »Aber du musst wirklich nicht mit. Was soll mir hier schon passieren?« Bis jetzt waren wir auf unserem Rundgang kaum jemandem begegnet, der Ort schien wie ausgestorben. Keine Ahnung,

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