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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Strand kennengelernt hatten, als meine Mutter versuchte, für ihre Prüfungen zu lernen. »Sie ist Meteorologin geworden und arbeitet auf einer Wetterstation«, sagte ich. »Am Ende seines Urlaubs hat mein Vater ihr einen Heiratsantrag gemacht. Und neun Monate später wurde ich geboren. Damals war gerade das Buch »Fräulein Smillas Gespür für Schnee« von Peter Hoeg erschienen und meine Mutter hatte sich sofort in den Namen Smilla verliebt. Er stammt von einem grönländischen Mädchennamen ab, der so viel bedeutet wie Etwas, das summt«.
    Ich sah, wie Conrad lächelte, und verlor für einen Moment den Faden. Das Lächeln veränderte sein Gesicht jedes Mal auf so unglaubliche Weise, dass man denken konnte, einen anderen Menschen vor sich zu haben. Ich räusperte mich und fuhr fort: »Ich glaube, ich war der erste Mensch aus Fleisch und Blut, der in Deutschland diesen Namen bekam. Der Schriftsteller hatte ihn nämlich extra für seinen Roman erfunden und meine Mutter musste die Standesbeamtin erst überzeugen, dass der Name überhaupt zugelassen wurde.«
    Conrad legte neues Holz nach und erzählte mir, dass Howe eigentlich nur sein halber Nachname war. »Unsere Quileute-Namen waren schwer auszusprechen für Fremde, und als 1883 der erste weiße Lehrer nach La Push kam, gab er den Kindern Namen von Persönlichkeiten aus der amerikanischen Geschichte oder von irgendwelchen weißen Siedlern, die er kannte. Der Name meines Urgroßvaters war Howeyatl. Daraus wurde dann Howe. Dabei hatte er noch Glück. Einer seiner Freunde wurde einfach nach George Washington benannt.«
    Conrad war ein guter Geschichtenerzähler. Stundenlang hätte ich ihm zuhören können. Doch er wollte mehr über mich wissen und fragte mich, ob ich Geschwister hätte.
    »Nein«, sagte ich. »Meine Eltern wollten noch einen Bruder oder eine Schwester für mich, aber es wurde nichts draus.« Ich erzählte ihm von meiner Kindheit in Suhl und von den Sommern auf Färö. Vom Umzug nach Berlin, von den Turners, von meinen Freunden in Deutschland. Sogar von Sebastian erzählte ich ihm und warum er mit mir Schluss gemacht hatte. Conrad sollte nicht etwa denken, dass ich ein unbeschriebenes Blatt war und keine Erfahrungen mit Jungs hatte. Er stieß ein verächtliches Schnauben aus, als ich von Sebastians Rückzieher erzählte. Doch auch wenn er vermied, mir in die Augen zu sehen, der zufriedene Ausdruck auf seinem Gesicht entging mir nicht. Nur, was hatte er zu bedeuten? Fühlte er etwa genauso wie ich?
    Als ich geendet hatte, waren die Muscheln gar, ihre Schalen hatten sich geöffnet. Conrad zeigte mir, wie man am besten an das weiche orangerote Fleisch herankam. Er benutzte dazu eine offene, leere Muschelschale als Zange. Das Fleisch hatte ein frisches Seearoma. Es war weich, hatte aber einen kleinen harten Kern. Das dunkle Muschelherz.
    Nach dem Essen tranken wir Wasser von der Quelle und wuschen unsere Hände. Es war ein köstliches Mahl gewesen und offenbar auch sehr gesund. Laut Conrads Ausführungen enthielt das Muschelfleisch jede Menge Eiweiß, Jod, Kalium und Kalzium und Vitamin A. Ich musste darüber lachen, mit welchem Ernst er mir die Nahrhaftigkeit unseres Mittagsmahls schilderte.
    Wir setzten uns wieder an die Feuerstelle und Conrad erzählte, dass es eine Art Initiationsritus für die Jungen aus La Push war, die Insel bei Flut zu umrunden. »Das Wasser ist immer kalt und es ist eine ganz schöne Strecke.«
    »Hast du das auch gemacht: die Insel umschwommen?«
    »Ja«, sagte er, »mehrere Male.«
    »Warum mehrere Male?«
    »Um zu beweisen, dass ich es kann. Ich habe einen guten Schutzgeist.«
    »Und wie bist du zu dem gekommen?«, fragte ich. »Ich meine, zu diesem Schutzgeist.«
    »Wieso willst du das wissen?«, fragte er, einen misstrauischen Schatten auf dem Gesicht.
    Ich hob die Schultern. »Ich könnte auch einen gebrauchen.« Conrad entspannte sich und lächelte, aber ich spürte sein Zögern. Vermutlich überlegte er, wie viel er mir erzählen sollte.
    Verlegen klappte ich eine leere Muschelschale auf und zu. »Du kannst mir ruhig sagen, wenn ich dir zu neugierig bin.«
    Er spannte mich noch ein wenig auf die Folter, doch schließ lich erfuhr ich, dass er, als er vierzehn war, mit seinem Großvater an einen abgelegenen Platz in den Bergen gefahren war. Dort hatten sie eine einen Meter hohe Plattform aus Holzbohlen errichtet und zu beiden Seiten ein Feuer entfacht. Sie hatten einen Schwung Feuerholz auf der Plattform gestapelt und Conrad

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