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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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schlug schneller. James Island hatte mich von Anfang an magisch angezogen und nun, wo sich unerwartet die Gelegenheit bot, die geheimnisvolle Insel zu betreten, würde ich bestimmt nicht Nein sagen. »Darfst du das denn?«, fragte ich überrascht.
    »Was?«
    »Mich mit auf die Insel nehmen?«
    »Ja, klar. Oder siehst du hier irgendwo ein Schild: FÜR SMILLA BETRETEN VERBOTEN?«
    »Ich dachte ja nur, weil...« Warum kannst du mich nicht ernst nehmen?
    »Weil du ein Bleichgesicht bist?« Er lächelte amüsiert.
    »Weil die Insel euch Quileute heilig ist«, sagte ich mit Trotz in der Stimme.
    Er zuckte mit den Achseln. »Die meisten Weißen, die sich die Mühe machen, kommen nur deshalb. Weil die Insel uns heilig ist. Für sie ist es eine Art Initiation, da raufzuklettern.«
    Wir liefen ein Stück am Fuße der Insel entlang und schon bald sah ich, was Conrad mit Mühe und raufklettern meinte. Eine schmale Metallleiter war im Sandsteinmassiv befestigt und führte fast senkrecht hinauf auf das Inselplateau. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben. Schlagartig verließ mich der Mut. Das war eindeutig zu hoch für meine Höhenangst.
    »Na los«, sagte Conrad. »Du zuerst.«
    Ich verzog das Gesicht. »Das ist ziemlich hoch.«
    »Fünfzig Meter, um genau zu sein. Hast du etwa Angst?« Prüfend sah er mich an.
    Und wie, dachte ich. Ich sah Conrad an und wusste, er würde enttäuscht von mir sein, wenn ich jetzt kniff. Und ich wusste auch, dass ich mir das selbst nicht verzeihen würde. »Na gut«, flüsterte ich. Es klang wenig überzeugend, aber Conrad nickte mir aufmunternd zu.
    Ich legte die Hände an die Leiter. Algen wuchsen daran und sie war glitschig. Aber das war nur am unteren Stück so. Ich erklomm drei Sprossen und klammerte mich fest. »Ich hab Höhenangst.«
    Conrad stieg hinter mir auf die Leiter. Er umfing mich mit seinen Armen, mit seinem ganzen Körper. »Mach langsam, ich werde hinter dir sein.« Auch seine Worte klangen wie eine Umarmung. Als ob da etwas wäre zwischen uns.
    Mit Conrad im Rücken fühlte ich mich schon etwas sicherer. Sprosse für Sprosse erklomm ich die Leiter. Conrad war immer hinter mir oder besser: um mich herum. Vor jedem Schritt spürte ich seinen warmen Atem in meinem Nacken. Als ich auf halber Höhe versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, sprach er in mein Haar: »Nicht nach unten sehen, okay?«
    Ein Schaudern ging durch meinen Körper und einen Augenblick lang fühlte ich mich völlig kraftlos. Dann gab ich mir einen Ruck und zog mich weiter nach oben. Schließlich, es kam mir vor wie eine Ewigkeit, hatten wir es geschafft. Ich stieg auf eine Plattform, die aus einem Metallgitter bestand, und stützte mich auf das Geländer, das sie abgrenzte. Mein Herz klopfte wild und meine Knie waren so weich, dass ich fürchtete, jeden Moment umzuknicken.
    »Du hast es geschafft«, sagte Conrad und stellte sich neben mich.
    Ja, ich hatte es geschafft. Nachdem mein Herz sich ein wenig beruhigt hatte, wagte ich einen Blick nach unten. Die Tiefe war schwindelerregend. Unter uns schwarze, mit Seegras und Algen bewachsene Steine.
    La Push und der First Beach lagen immer noch im Nebel.
    Ich hatte es geschafft, na gut. Aber wie würde ich da wieder hinunterkommen? Daran wollte ich jetzt lieber nicht denken.
    »Wir Quileute nennen die Insel A-Ka-Lat«, sagte Conrad. »Das heißt Auf dem Gipfel des Berges . Unsere Vorfahren haben sich hier verschanzt, wenn wir von unseren Feinden, den Makah angegriffen wurden. Die Männer spitzten Baumstämme an und warfen sie auf die Feinde, wenn sie versuchten, den Fels zu erklimmen. Und die Frauen schütteten kochendes Wasser von oben herab.«
    Ich sah ihn an. »Das klingt scheußlich.«
    »War es auch. Aber glaub mir, die Makah waren genauso wenig zimperlich. Wenn sie einen von uns erwischten, töteten sie ihn oder machten ihn zum Sklaven.«
    »Sklaven?«, fragte ich, obwohl ich das auch in diesem Buch gelesen hatte.
    »Ja. Auch meine Vorfahren haben Kriegsgefangene zu Sklaven gemacht. Früher war das einfach so.«
    »Ist es wahr, dass ihr hier oben eure Toten begraben habt?«, fragte ich.
    »Nicht begraben«, antwortete Conrad. »Wir haben sie hier gelassen, damit ihre Seelen auf Reisen gehen konnten.«
    »Wo habt ihr sie denn gelassen?« Ich warf einen Blick ins grüne Inselinnere und mir wurde mulmig zumute.
    »Die Häuptlinge wurden in einem Kanu bestattet, die einfachen Leute in einem hohlen Baum.« Er bedeutete mir, ihm zu folgen. Wir liefen einen

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