Individuum und Massenschicksal
zwar die Erfahrung des Gebärens machen wollte, doch aus irgendwelchen Gründen nicht den Wunsch hegte, jahrelang ein Kind großzuziehen.
(23.57 Uhr. Das Telefon begann zu läuten. Das plötzliche Geräusch kam als ein Schock, so tief war unsere beiderseitige Konzentration. Doch Jane kam nicht aus der Trance. Als Seth blickte sie mich an, und ich blickte zurück, ohne den Anruf zu beantworten.
Glücklicherweise hörte das Läuten bald auf.) Eine solche Mutter würde ein Bewußtsein anziehen, das vielleicht den Wunsch hegte, die Kindheit, nicht aber das Erwachsenendasein neu zu durchleben, oder eines, das der Mutter ein paar dringend benötigte Lehren erteilen könnte. Ein solches Kind würde mit zehn, zwölf Jahren oder noch früher eines natürlichen Todes sterben. Doch würde vielleicht mit Hilfe der Wissenschaft das Kind viel länger am Leben erhalten werden, bis sich ein solcher Mensch mit einem Erwachsenendasein konfrontiert findet, das ihm sozusagen aufgenötigt wurde.
Ein Autounglück oder sonst ein Unfall, auch Suizid, könnte die Folge sein. Der Mensch kann einer Epidemie zum Opfer fallen, aber die Reibungslosigkeit des biologischen oder psychologischen Ablaufs ist verlorengegangen. Ich spreche hier nicht dem Selbstmord zu Worte, denn allzuoft ist dieser in eurer Gesellschaft das bedauerliche Resultat widersprüchlicher Glaubensüberzeugungen - und doch ist es zutreffend zu sagen, daß alle Tode Suizide und alle Geburten von Kind und Eltern beabsichtigt sind. Insofern unterscheiden sich Vorkommnisse wie Bevölkerungsexplosionen in manchen Teilen der Erde nicht von Epidemien, Erdbeben und anderen Katastrophen. (Lange Pause.) In Kriegszeiten vermehren sich die Menschen automatisch: Sie schaffen für die Umgekommenen Ersatz. Andererseits werden der Bevölkerung, wenn sich die Gattung übermäßig vermehrt, automatische Kontrollen auferlegt. Doch werden diese Kontrollen den Absichten und Zwecken der betroffenen Individuen in jeder Hinsicht entsprechen.
(Nachdrücklich:) Ende des Diktats, Ende der Sitzung. Meine herzlichsten Grüße...
(0.12 Uhr. Nachdem Jane einige Zeilen Material für sich selbst gebracht hatte, kam sie unvermittelt aus einer sehr tiefen Trance, ohne als Seth gute Nacht zu sagen. »Ich kann mich an nichts seit Beginn der Sitzung erinnern«, sagte sie. Wir waren müde.
Ich weiß natürlich noch nicht, wie ich meinen Anteil an diesem Buch werde halten können; aber Sie werden, wenn Sie das abgeschlossene Werk zur Hand nehmen, auf einen Blick all die von mir getroffenen Entscheidungen erkennen: ob die Anmerkungen zu den Sitzungen länger oder kürzer, zahlreich oder sparsam sind, wie oft ich mich auf die anderen Seth-Bücher beziehe und so weiter.
»Also«, sagte ich zu Jane, als wir zu Bett gingen, »Im Moment denke ich, daß ich nur kurze Anmerkungen und keinen Anhang machen werde. So kommt es schneller zur Fertigstellung des Manuskriptes und zur Veröffentlichung des Buches.« Mir ist nur zu bewußt, wieviel Zeit ich tatsächlich auf die Fertigstellung der Manuskripte, insbesondere der letzten Seth-Bücher verwende; mich bedrückt oft das Gefühl, deren Veröffentlichung hintanzuhalten, wenn Seth sein Diktat schon vor ein oder zwei Jahren abgeschlossen hat.)
Sitzung 802, Montag, den 25. April 1977
(Die planmäßige Sitzung für letzten Mittwoch abend fiel aus. Wie ich schon erwähnt habe, wird die Veranda auf der Vorderseite unseres »
Hügelhauses« umgebaut. Am Donnerstag haben die Arbeiter den Zement für den neuen Fußboden gegossen. Heute haben sie die Verschalungen für die Treppenstufen zur Veranda installiert und ebenfalls ausgegossen.
Erfreulicherweise hatten wir schönes Wetter. 21.47 Uhr.) Guten Abend.
(»Guten Abend, Seth.«)
Diktat. (Pause.) Nun: In einem gewissen Sinne sind Epidemien die Erscheinungsform eines Massenselbstmords der Betroffenen.
Biologische, soziologische und sogar wirtschaftliche Faktoren mögen dabei eine Rolle spielen, daß ganze Gruppen von Individuen aus verschiedenen Beweggründen zu einem bestimmten Zeitpunkt sterben wollen, in einer Weise jedoch, daß sich ihr individuelles Sterben zu einer generellen Aussage verdichtet.
Auf einer bestimmten Ebene stellen solche Todesfälle eines Massensterbens einen Protest gegen die Zeit dar, in der sie stattfinden.
Die Betroffenen haben jedoch auch ihre persönlichen Gründe. Diese Gründe variieren natürlich von einem Individuum zum anderen; alle Betroffenen jedoch »wünschen ihren Tod, um einer
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