Individuum und Massenschicksal
intuitiv erfaßter Wirklichkeiten, so daß sie die Kanäle noch weiter verengen, durch die ihre Fähigkeiten psychischer Wahrnehmung fließen könnten. Dem fundamentalistischen Bezugsrahmen dieser Tage fehlt, ungeachtet seiner Inbrunst, jener Reichtum, den das Christentum der Vergangenheit mit seinen vielen Heiligen bot. Statt dessen hat er, was seine christliche Eigenart anbelangt, etwas fanatisch Puritanisches und seinem Charakter nach eigentümlich Amerikanisches. Er ist mehr restriktiv als expansiv.
Gefühlsausbrüche sind in den meisten Lebensbereichen bloß eingeschränkt möglich und erlaubt nur unter Umständen als ein explosiver religiöser Ausdruck, wenn sie nämlich nicht so sehr spontan zum Ausdruck kommen, sondern eher von der Lockerung der üblichen Repression her plötzlich freigesetzt werden.
Die Vorstellungskraft sucht sich immer Ausdruck zu verschaffen.
Sie ist immer schöpferisch, und unterhalb der Gesellschaftsstruktur sorgt sie für frische Anregungen und neue Wege zur Erfüllung, die dann allerdings von fanatischen Überzeugungen besetzt werden können. Wenn das geschieht, werden eure Institutionen repressiver, und oft kommt es dann zu Eskalationen der Gewalt.
Wenn ihr nach Zeichen für die Vergeltung Gottes Ausschau haltet, so werdet ihr sie überall finden. Eine Lawine oder eine Überschwemmung wird dann nicht als natürlicher Akt der natürlichen Kreativität der Erde gesehen, sondern als Strafe Gottes für begangene Sünden.
Die Evolutionslehre zwingt zur Schlußfolgerung, daß die Natur des Menschen amoralisch und um des Überlebens willen alles erlaubt ist. Es gibt, nach Meinung der meisten Verfechter dieser Lehre, keine Möglichkeit irgendeines spirituellen Überlebens. Demgegenüber glauben die Fundamentalisten lieber an die sündige Natur des Menschen, denn ihr Glaubenssystem liefert zumindest einen Bezugsrahmen, in dem er errettet werden kann. Die Botschaft Jesu Christi aber lautete, daß jeder Mensch seinem Wesen nach gut und ein individualisierter Teil des Göttlichen ist.
Dennoch ist noch nie versucht worden, eine Zivilisation auf der Grundlage dieser Anschauung zu errichten. Die weitreichenden Gesellschaftsordnungen christlicher Prägung beruhten statt dessen immer auf der »sündigen« Natur des Menschen - und das sind nicht die Organisationsformen und Strukturen, die es ihm ermöglichen könnten, gut zu werden oder sich jenes ursprünglichen Gutseins in sich gewahr zu werden, das dem Menschen, wie Christus ganz klar erschaute, schon innewohnt.
(23.01 Uhr.) Es wirkt fast schon wie eine Lästerung zu sagen, der Mensch sei gut, während eure Erfahrungen doch fortwährend das krasse Gegenteil beweisen. Nur zu oft handelt ja der Mensch, als seien seine Motive die eines geborenen Mörders. Ihr habt gelernt, den Stoff, aus dem ihr gemacht seid, mit Argwohn zu betrachten. Aber wie könnt ihr von euch erwarten, auf irgendeine folgerichtige Weise vernünftig oder aus Nächstenliebe zu handeln, wenn ihr den Glauben hegt, von Natur aus verworfene Geschöpfe zu sein, so von Verderbnis geprägt, daß ein solches Handeln eurem Wesen widerspräche?
Geduldet euch einen Moment... Ihr seid nicht nur Teilhaber, sondern ein Teil der Natur. Als solche habt ihr zu wählen gelernt und bringt völlig natürlich und automatisch Träume und Vorstellungen und Überzeugungen hervor, um die herum ihr eure Wirklichkeit organisiert.
Etliche der Auswirkungen mißfallen euch; doch verfügt ihr über ein Bewußtsein ganz besonderer Art, aus dem heraus jedes Individuum an der Schaffung einer Weltwirklichkeit gestaltend teilnimmt. Ihr habt teil an einer Existenzgrundlage, von der aus ihr lernt, wie man ein vorgestelltes Reich der Wahrscheinlichkeiten in eine mehr oder minder spezifisch ausgeprägte, materiell erfahrbare Welt umwandelt.
Ihr trefft gewissermaßen eure Auswahl aus einer grenzenlosen, unendlichen, mathematisch überhaupt nicht faßbaren Fülle von Ideen, um sie zu Wirklichkeitsfragmenten umzugestalten, aus denen eure erlebte Erfahrungswelt besteht. Ihr verfahrt dabei so, daß die zeitlosen Vorgänge in der Zeit erfahren werden, daß sie sich gegenseitig durchdringen und ineinander aufgehen, um sich den Dimensionen eurer Wirklichkeit einzufügen. Dabei kommt es zu schöpferischen Gestaltungen von solchem Wert und solcher Vollendung, daß diese für welche Geschöpfe auch immer ein Optimum der Leistung darstellen. Auch große Mißerfolge gibt es. Doch sie sind Mißerfolge nur im Vergleich mit
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