Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
mittlerweile abgeflaut. In Cuzco fand das Leben nach und nach zu seinem bedächtigen Rhythmus zurück, aber noch war man vorsichtig, denn viel Groll hatte sich angestaut und schwelte unter der Oberfläche. Die Stimmung unter den Soldaten war noch immer gereizt, das Land war ausgeblutet und in Unordnung, und die Indios wurden zu Schwerstarbeit gepreßt. Unser Monarch Karl V. hatte in seinen königlichen Erlassen verfügt, daß die Eingeborenen mit Respekt behandelt und durch Güte und gute Taten bekehrt und aus der Barbarei geführt werdensollten, aber die Wirklichkeit sah anders aus. Der König, der nie einen Fuß in die Neue Welt gesetzt hatte, diktierte seine gerechten Gesetze in den dunklen Sälen uralter Paläste, die Tausende Meilen entfernt waren von den Völkern, über die er zu herrschen wünschte, und er vergaß dabei die beständige Habgier des Menschen. Sehr wenige Spanier achteten seiner Verfügungen, und keiner weniger als der Marqués Francisco Pizarro. Noch der jämmerlichste Spanier ließ sich von Indios bedienen, und den reichen Landherren wurden sie zu Hunderten zugeteilt, denn nichts waren die Minen und der Boden wert ohne fleißige Hände. Unter der Peitsche der Aufseher gehorchten die meisten Indios, doch mancher zog es vor, seiner Familie einen gnädigen Tod zu bereiten und dann von eigener Hand zu sterben.
Ich hörte mich unter den Soldaten um, fügte die Bruchstücke von Juans Geschichte zusammen und bekam Gewißheit über sein Ende. Mein Mann hatte in der feuchtheißen Wildnis des Nordens bis zur Erschöpfung nach El Dorado gesucht und war schließlich nach Peru gekommen, wo er sich dem Heer von Francisco Pizarro anschloß. Der geborene Soldat war er nicht, aber in den Kämpfen gegen die Indios blieb er am Leben. Hin und wieder mußte er etwas Gold besessen haben, daran war ja kein Mangel, aber er verlor es ein ums andere Mal im Spiel. Bei etlichen seiner Kameraden stand er in der Kreide, und eine beträchtliche Summe schuldete er dem Bruder des Gouverneurs, Hernando Pizarro. Das machte ihn zu dessen Lakaien, und in seinem Auftrag beging er manche Untat.
In der Schlacht von Las Salinas kämpfte mein Mann auf der Seite der Sieger und erfüllte eine sonderbare Mission, die letzte seines Lebens. Auf Hernando Pizarros Befehl hin tauschte er die Uniform mit ihm; während Juan also das Zeug aus orangefarbenem Samt trug, darüber die feine Rüstung, die prunkvolle, von einem schneeweißenFederbusch gekrönte Sturmhaube aus Silber und den damastnen Umhang, den jeder vom Bruder des Gouverneurs kannte, mischte sich dieser als einfacher Soldat unter das Fußvolk. Es war wohl die Größe, die für Hernando Pizarro den Ausschlag gab: Juan und er hatten die gleiche Statur. Daß der Feind ihn während der Schlacht suchen würde, war sicher wie das Amen in der Kirche. Von dem prunkvollen Aufzug angelockt, bahnten sich Almagros Hauptleute mit dem Degen einen Weg zu dem unbedeutenden Juan de Málaga und töteten ihn im Glauben, es sei der Bruder des Gouverneurs. Hernando Pizarro kam mit dem Leben davon, doch an seinem Namen sollte für immer der Makel der Feigheit haften. All seine früheren soldatischen Leistungen waren mit einem Schlag ausgelöscht, und nichts vermochte ihm sein verlorenes Ansehen zurückzugeben; alle Spanier, Freund wie Feind, waren beschämt von dieser unwürdigen List und konnten sie ihm nicht verzeihen.
Die hastigen Bemühungen, einen Mantel des Schweigens über die Vorgänge zu breiten, blieben erfolglos, denn auch wenn niemand es wagte, Hernando Pizarro offen zu beschuldigen, machte die in der Schlacht begangene Niedertracht doch in gedämpftem Ton in Tavernen und hinter geschlossen Türen die Runde. Es gab niemanden, der nicht davon gewußt und sich dazu geäußert hätte, und so erfuhr auch ich die Einzelheiten, fand indes keinen, der mir hätte sagen können, was mit Juans Leiche geschehen war. Nie hat mich die quälende Vorstellung verlassen, daß Juan womöglich nicht christlich beigesetzt wurde und seine Seele deshalb keine Ruhe findet. Auf der langen Reise nach Chile ist er mir gefolgt, war um mich bei der Gründung Santiagos, führte mir den Arm, als ich die Kaziken richtete, und lachte mich aus, als ich vor Zorn und Liebe um Valdivia weinte. Noch heute, nach über vierzig Jahren, erscheint er mir manchmal, nur kann ich meinen Augen nicht mehr trauen wie früher und verwechsle ihn oft mit anderen Schemen derVergangenheit. Mein Haus in Santiago ist groß, mit seinen Höfen,
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