Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
den Stallungen und dem Gemüsegarten nimmt es ein ganzes Straßenkarree ein. Zwischen seinen dicken Mauern aus Lehmziegeln, den hohen Decken und schweren Eichenbalken finden sich viele Schlupfwinkel für verirrte Seelen, für böse Geister und auch für den Tod, der kein in eine Kutte gewandetes Gerippe ist, das einen aus leeren Augenhöhlen anstarrt, wie uns die Mönche einreden wollen, damit wir uns fürchten, nein, der Tod ist eine große, mollige Frau mit üppigem Busen und schützenden Armen, ein mütterlicher Engel. Ich verliere mich in diesem Haus. Seit Monaten schlafe ich nicht, weil mir Rodrigos warme Hand auf dem Bauch fehlt. Nachts, wenn die Dienerschaft zu Bett geht und nur noch die Wachen draußen auf sind und einige Mägde, die wach bleiben, falls ich sie brauchen sollte, streife ich mit einer Laterne durch die weitläufigen Räume, besehe mir die weiß gekalkten Wände und die blauen Decken, rücke Gemälde gerade und stecke die Blumen in den Vasen zurecht, spähe in die Volieren der Vögel. Im Grunde mache ich Jagd auf den Engel des Todes. Manchmal steigt mir der Duft nach frisch gebleichter Wäsche in die Nase, und dann weiß ich, daß die gute Frau ganz nah sein muß, aber sie ist verspielt und gewitzt, sie entwischt mir und versteckt sich unter den vielen Geistern, die dieses Gemäuer bevölkern. Einer davon ist der arme Juan, der mir in seinen blutigen, zerfetzten Brokatgewändern, unter denen die unbestatteten Knochen rasseln, bis ans Ende der Welt gefolgt ist.
In Cuzco war keine Spur von meinem Mann geblieben. Der Leichnam im hochherrschaftlichen Putz von Hernando Pizarro war sicher der erste gewesen, den die siegreichen Soldaten nach der Schlacht bargen, noch bevor die Indios von den Hügeln strömten und sich über die Reste der Gefallenen hermachten. Bestimmt waren sie sprachlos, als sie unter dem Helm und der Rüstung nicht den fanden, den sie erwartet hatten, sondern in das Gesicht eines namenlosenSoldaten blickten, und ich will gern glauben, daß sie nur widerstrebend dem Befehl gehorchten, das Geschehene zu vertuschen, denn Feigheit ist das letzte, was ein Spanier verzeiht, aber es wurde doch ganze Arbeit geleistet und jeder Beweis für die Existenz meines Ehemanns getilgt.
Als ruchbar wurde, daß die Witwe von Juan de Málaga überall Fragen stellte, zitierte mich der Gouverneur persönlich zum Gespräch. Francisco Pizarro hatte sich in der Stadt der Könige einen Palast bauen lassen und herrschte von dort aus mit Pomp, Heimtücke und harter Hand über das Reich, weilte aber eben zu Besuch in Cuzco. Ich wurde in seinem Stadtpalast vorstellig, und man führte mich in einen Saal mit prächtigen peruanischen Wollteppichen und reich verzierten Möbelstücken. In der Mitte stand ein großer Tisch, seine Platte, die Lehnen der Stühle, die Trinkbecher, die Kandelaber und selbst die Spucknäpfe waren aus massivem Silber. Es gab mehr Silber als Eisen in Peru. Etliche Hofangestellte steckten in den Ecken des Raums düster wie Geier die Köpfe zusammen, tuschelten, raschelten mit Papieren und taten wichtig. Pizarro trug ein enges schwarzes Wams aus Brokat mit geschlitzten Ärmeln, eine weiße Halskrause, um die Schultern einen Zobelpelz, eine dicke Goldkette vor der Brust und Schuhe mit goldenen Schnallen. Er war ein Mann in den Sechzigern, hochfahrend, mit grünlichem Teint, grauen Strähnen im Bart, einem mißtrauischen Blick aus tief in den Höhlen sitzenden Augen. In einer unangenehmen Falsettstimme sprach er mir kurzangebunden sein Beileid über den Tod meines Mannes aus, ohne dessen Namen zu nennen, und überraschte mich gleich darauf damit, daß er mir einen Beutel mit Geld reichte, damit ich mein Auskommen hätte »bis zu Eurer Rückkehr nach Spanien«, wie er sich ausdrückte. In diesem Augenblick faßte ich, ohne nachzudenken, einen Entschluß, den ich nie bereut habe.
»Bei allem Respekt, Exzellenz, ich denke nicht an eine Rückkehr nach Spanien.«
Ein böser Schatten huschte über das Gesicht des Marqués. Er wandte sich ab, trat ans Fenster und sah hinab auf die Stadt zu seinen Füßen. Als ich schon dachte, er habe mich vergessen, und mich zum Gehen wandte, sprach er unvermittelt weiter, ohne mich anzusehen:
»Wie, sagtet Ihr, war Euer Name?«
»Inés Suárez, zu Euren Diensten, Exzellenz.«
»Und wie wollt Ihr für Euren Lebensunterhalt sorgen?«
»In redlicher Weise, Exzellenz.«
»Und verschwiegen, will ich meinen. Verschwiegenheit wird hierzulande sehr geschätzt, vor
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