Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
mit eigenen Augen gesehen, was sie anrichten, und wie gesund ich auch sein mochte, die Franzosenkrankheit fürchtete ich wie den Teufel, und die kann einen bei der geringsten Berührung befallen. Und was, wenn ich schwanger würde? Die essiggetränkten Schwämmchen waren kein sicheres Mittel, und ich hatte die Jungfrau so oft um ein Kind angefleht, daß sie mirden Gefallen womöglich zur Unzeit tat. Wunder kommen kaum je wie gerufen.
All diese vernünftigen Überlegungen hatten mir über die Jahre der erzwungenen Keuschheit geholfen, mein Herz hatte gelernt, jede Regung zu ersticken, aber mein Leib hörte nie auf, seine Rechte zu fordern. Die Schwüle der Neuen Welt ist wie gemacht für Sinnlichkeit, alles ist greller, die Farben, die Düfte, die Aromen; selbst die Blumen mit ihren schweren Gerüchen und die lauen und klebrigen Früchte verleiten zu Wollust. In Cartagena und später in Panama kamen mir Zweifel an den Grundsätzen, die mich in Spanien aufrechtgehalten hatten. Meine Jugend schwand dahin, mein Leben verbrauchte sich … Wen kümmerte es, ob ich tugendhaft war? Wer wollte mich richten? In den Neuen Indien mußte Gott doch nachsichtiger sein als in der Extremadura. Wenn er die Untaten vergab, die in seinem Namen gegen Tausende von Eingeborenen begangen wurden, würde er da einer armen Frau nicht auch ihre Schwächen vergeben?
Eine Last fiel von mir ab, als wir gesund und wohlbehalten den Hafen von Callao erreichten und ich das Schiff verlassen konnte, auf dem ich fast den Verstand verlor. Nichts ist quälender als die Enge eines Schiffs auf der schwarzen, grenzenlosen, bodenlosen Weite des Ozeans. »Hafen« war ein zu großes Wort für das Callao jener Jahre. Heute soll es die wichtigste Hafenstadt des Pazifiks sein, über die unermeßliche Reichtümer nach Spanien verschifft werden, aber damals war es nur eine armselige Mole. Von Callao reiste ich mit den Mönchen weiter in die Stadt der Könige, die heute oft weniger anmutig »Lima« genannt wird. Ich mag den Dreikönigsnamen lieber, also nenne ich sie weiter so. Die Stadt war erst vor kurzem von Francisco Pizarro in einem weiten Tal gegründet worden und wirkte auf mich beständig wolkenverhangen; im Sonnenlicht, das durch diefeuchten Schwaden brach, sah sie ätherisch aus wie eine der verwischten Zeichnungen von Daniel Belalcázar. Ich stellte meine Fragen und hatte nach wenigen Tagen einen Soldaten gefunden, der behauptete, Juan de Málaga zu kennen.
»Ihr kommt zu spät, Señora«, sagte er. »Euer Mann ist in der Schlacht von Las Salinas gefallen.«
»Juan war kein Soldat«, stellte ich klar.
»Soldat ist hier jeder, selbst Mönche führen das Schwert.«
Der Mann war mir nicht geheuer, das Gestrüpp an seinem Kinn wucherte ihm bis zur Mitte der Brust, seine Kleider waren lumpig und verdreckt, sein Mund zahnlos, seine Zunge schwer vom Trinken. Er schwor, ein Freund meines Mannes zu sein, aber ich glaubte ihm nicht, denn erst behauptete er, Juan sei Infanteriesoldat gewesen, habe viele Spielschulden gehabt und eine Schwäche für Frauen und Wein, und dann faselte er etwas von einem Federbusch und einem Umhang aus Brokat. Am Ende wurde er gar zudringlich, und als ich ihn zurückwies, bot er an, sich meine Gefälligkeit mit Gold zu erkaufen.
Da ich nun einmal so weit gekommen war, aus der Extremadura bis ins ehemalige Hoheitsgebiet Atahualpas gereist war, entschied ich, ich könnte gut auch diese letzte Anstrengung noch unternehmen und schloß mich einem Treck an, der Vorräte und eine Herde Lamas und Alpacas nach Cuzco bringen sollte. Gesichert wurde unser Zug von einem Trupp berittener Soldaten unter dem Befehl eines gewissen Leutnants Núñez, der unverheiratet war, gutaussehend, eingebildet und offensichtlich gewohnt, zu bekommen, was er wollte. Außer mir reisten zwei Mönche, ein Amtsschreiber, ein Buchprüfer und ein deutscher Arzt, alle saßen auf Pferden oder Maultieren oder wurden von Indios in Sänften getragen. Ich war die einzige Spanierin, aber einige Quechuafrauen gingen mit ihren Kindern neben der endlosen Reihe der Träger her und sorgten für die Verpflegung ihrer Männer. In ihren leuchtend bunten Wollkleidern sahen sievon ferne heiter aus, aber aus ihren Mienen sprachen die Bitterkeit und der Argwohn geknechteter Menschen. Sie waren kleingewachsen, hatten hohe Wangenknochen, kleine, schmale Augen und schwarze Zähne von den Kokablättern, die sie kauten, um sich Mut zu machen. Ihre Kinder waren bildhübsch, und auch einige
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