INFAM - Die Nacht hat tausend Augen (German Edition)
hatte dem Makler erzählt, er wäre Schriftsteller, der des Öfteren unter Schreibblockaden litt und hoffte, dass die ländliche Idylle seine Kreativität beflügeln und er hier seinen neuen Roman fertigstellen würde. Bei dem Gedanken daran musste Richard schmunzeln. Schriftsteller. Ein Schriftsteller war im Vergleich zu ihm in etwa so, wie ein VW Käfer neben einem Porsche Cayman der neusten Generation. Schriftsteller saßen monatelang in ihrem stillen Kämmerlein und schufen fiktive Elaborate, während er ein spannendes Reality-Drama veranstaltete, das den Zeitgeist traf und die abgestumpften Menschen zu berühren vermochte. Die Gesellschaft verlangte nach immer neuen, immer extremeren Kicks und Vergnügungen, und er gab ihnen genau das, was sie wollten. Das Haus erwies sich in mehrfacher Hinsicht als perfekte Location für das Projekt. Sein düsterer Keller, der mit allerlei Gerümpel voll gestellt war, das die Vormieter einfach dagelassen hatten, war ein gruseliges Setting und vor allem lag es abgeschieden auf dem Land. Während er seine teure audiovisuelle Ausrüstung herbrachte, die ganzen Kameras und Mikrofone im Haus installierte und weitere Arbeiten verrichtete, um alles für die Show optimal vorzubereiten, kam niemand um sich über den Baulärm zu beschweren, oder um, mit einer Flasche Wein in der Hand, auf gute Nachbarschaft anzustoßen. Richard dachte daran, dass er sogar in die Buddha-Statue im Badezimmer und in dem Gemälde der tausend Augen Kameras eingebaut hatte. Ja, er hatte das ganze Geld wahrlich verdient und er hätte auch den Ruhm verdient. Aber er würde zumindest dafür sorgen, dass er posthum die entsprechende Anerkennung bekam. Manche Menschen wurden halt erst nach ihrem Tode zu Legenden. Gleich im Keller würde er seiner Kundschaft den nächsten Akt servieren und der hatte es in sich. Bei der Vorstellung daran, machte sich ein aufgeregtes Kribbeln in Richard breit. Zunächst jedoch war es an der Zeit für ein kleines, gemeines Intermezzo. Er drückte auf einen Knopf an der Pultkonsole, woraufhin Polizeisirenen im Haus erklangen. Richard lächelte. Nun würde Sarah sicherlich denken, dass ihre Rettung nahte. Die Kleine konnte ja nicht ahnen, dass ihre Freundin Denise vorhin nicht mit einem Polizeibeamten telefoniert hatte, sondern mit ihm. Was ein einfaches Softwareprogramm zur Stimmenverzerrung und ein manipuliertes Telefon so alles möglich machten.
19
Sofort nachdem Sarah den Keller betreten hatte, schlug ihr erneut dieser penetrante, süßlich-faulige Gestank entgegen. Sie bahnte sich einen Weg zwischen all dem Gerümpel hindurch, das kreuz und quer verteilt stand. Die wenigen Glühbirnen in dem Raum spendeten ein spärliches Licht, das es nicht schaffte die Schatten in den Ecken des Kellers zu vertreiben. Sarah spürte einen pochenden Schmerz in ihrem Brustkorb, an der Stelle wo sie vorhin unsanft auf den Boden geknallt war. Zusätzlich setzten ihr die Verzweiflung und ein Gefühl der Entmutigung stark zu. Was sollte sie jetzt nur tun? Wahrscheinlich gab es keinen weiteren Zugang zum Keller, als den, durch welchen sie gerade gekommen war. Sie saß also in der Falle und der Wahnsinnige würde sie gleich holen kommen. Nachdem sie ihn an einer empfindlichen Stelle getreten hatte, war er jetzt so richtig in Rage und würde darauf brennen, sie endlich mit seinen raubtierartigen Zähnen zu zerfetzen. Zu allem Übel hatte sie auch noch ihr Messer verloren und war ihm wehrlos ausgeliefert. Neben einem versifft aussehenden, blassgrünen Polstersessel, der vermutlich mindestens doppelt so alt war wie Sarah selbst, blieb sie stehen und lauschte. Es herrschte absolute Stille, bis auf das kaum wahrnehmbare monotone Brummen, das von der Kühltruhe aus der Kammer kam. Wenn nicht ein Wunder geschah, würden einige Körperteile von ihr bald ebenfalls darin frisch gehalten werden.
Sie fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte und dachte an Richard. Er hatte Denise und sie hierher geholt. Wusste er von dem, was hier vorging oder war dieser Freak erst nach seinem Verschwinden in das Haus eingedrungen? Wenn letzteres der Fall war, wo war dann der kleine Sid geblieben? Darüber, wie eine Hand mit abgetrenntem Daumen in die Kühltruhe kam und vor allem, wo der Irre Denise hingebracht hatte, zerbrach sich Sarah ebenfalls den Kopf. Sie hatte eine unheilvolle Ahnung, dass sie zumindest die Antwort auf die letzte Frage bald herausfinden würde, wenn sie nur weiter dem elendigen Gestank folgte, der
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