INFAM - Die Nacht hat tausend Augen (German Edition)
Teufel machst du da?“, schrie Denise. „Los jetzt, hinein mit ihr!“
Sid starrte auf Sarahs Brüste, gehorchte aber und hob sie hoch. Als Sarah sah, wie verzaubert Sid auf ihre Titten glotzte, kam ihr in ihrer puren Verzweiflung eine verrückte Idee. Sie erinnerte sich an das Kinderlied, das Sid vorhin gesungen hatte, als er die Treppe hinunter gekommen war, und fing an mit der lieblichsten Stimme, die sie in ihrer verzweifelten Lage aufsetzen konnte, eine Strophe aus dem Lied zu singen. Dabei schaute sie Sid tief in die Augen.
„Und ist der größte Spaß zu klein, kauft dir die Mami den Sonnenschein. Und wenn die Sonne wird dunkel sein, kauft dir die Mami ein Vögelein.“
Sie befanden sich mittlerweile in dem Infrarot-Grill und für einen Moment schien die Welt still zu sehen. Dann kicherte Sid, steigerte sich in ein vergnügtes Wiehern und legte Sarahs Beine auf dem Boden ab, während er mit seiner hohen Stimme anfing zu singen: „Und wenn der Mond verweht im Wind, bin ich immer noch das schönste Kind.“ Denise gab ihm eine schallende Ohrfeige.
„Hör auf damit und verschwinde aus der Kammer!“
Sarah sah den Wahnsinn ins Sids Augen aufglimmen. Er quiekte wie ein angeschossenes Schwein, warf seinen Kopf hin und her, rollte mit den Augen und streckte blitzartig seine Hände aus, um Denise einen gewaltigen Schubs zu verpassen, die daraufhin auf die Glaskeramikfläche stürzte. Dann machte er mit zornrotem Gesicht einen Schritt rückwärts und knallte die Tür zu. Sarah war überwältigt von den Geschehnissen. Sie hatte noch gut zwei Minuten zu leben, aber sie würde nicht alleine gegrillt werden. Vor allem aber hatte sie noch gut zwei Minuten Zeit, um Rache zu nehmen.
31
Richard, der ruckartig aus seinem Stuhl aufgesprungen war, starrte ungläubig auf den Bildschirm. Binnen weniger Sekunden hatte sich eine Situation ergeben, mit der er nicht im Entferntesten gerechnet hatte.
Klar, Sid war eine unstete Variable und jemand, dessen Verhalten sich nur schwer vorausahnen ließ, aber Denise hatte ihn eigentlich immer gut im Griff gehabt. Richard hatte allerdings auch noch nie erlebt, dass sie so barsch mit ihm umgegangen war, wie heute Abend. Womöglich hatten ihre Exzentrik und die Aufregung, vor tausenden Menschen im Mittelpunkt seiner einzigartigen Show zu agieren, dafür gesorgt, dass sie sich für unantastbar und unverwundbar hielt. Nun hatte sie die Quittung erhalten. Richard massierte sich die Schläfen, während er weiterhin unablässig auf den Monitor blickte. Zu dumm, dass er nicht daran gedacht hatte, eine Fernsteuerung für den Grill einzubauen. Das wäre kein großes Problem gewesen.
Was sollte er jetzt tun? Seine Gedanken überschlugen sich. Vielleicht einfach gar nichts? Diese Entwicklung beinhaltete schließlich eine durchaus würdige Abschlusspointe für sein Werk. Alle hatten Sarah bei ihrem Weg in den sicheren Tod zugesehen, aber kaum jemand konnte nach den letzten Entwicklungen damit gerechnet haben, dass am Ende auch Denise dran glauben würde müssen. Er beobachtete, wie sich Sarah mit einer Energie, die er ihr beim besten Willen nicht mehr zugetraut hatte, wie besessen auf Denise stürzte. Ja, das waren dramatische Schlussminuten, seine Kunden waren sicher ganz aus dem Häuschen. Allerdings spürte Richard nun doch einen Stich, wenn er daran dachte, dass Denise – seine Denise – gleich bei lebendigem Leibe gegrillt und ihr schöner Körper in Sekundenschnelle dahinschwinden würde. Er hatte zwar überlegt, ob es nicht besser wäre sie loszuwerden, aber das gefiel ihm jetzt ganz und gar nicht. Richard wollte dieses für ihn so bedeutende Projekt doch lieber mit Denise an seiner Seite zu Ende bringen und den Erfolg mit ihr feiern. Er hatte keine Zeit mehr, noch länger darüber nachzudenken. Die Uhr tickte und mindestens eine halbe Minute war bereits verstrichen. Sein Bauchgefühl riet ihm, Denise zu retten, bevor er für immer bereuen würde, nicht gehandelt zu haben. Andererseits wollte er aber auch nicht, dass seine Show in einem heillosen Durcheinander endete. So hätte sie einen runden Abschluss und er könnte nach der Grillszene einfach die Kameras abschalten, danach den Irren kaltmachen und sich alsbald aus dem Staub machen.
Nein, dafür bedeutet mir Denise dann doch zu viel.
Richard griff sich seine Pistole, hielt dann aber erneut wie gelähmt inne. Die ganze Veranstaltung hatte sich optimal entwickelt und in ihrer Dramaturgie immer weiter gesteigert, ohne dass
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