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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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abdichtet.«
    Mir zog sich der Magen zusammen, während ich versuchte, mir nicht die letzten Minuten von Brookes Leben vorzustellen, doch ungebetene Bilder und Gefühle durchbrachen meine Barrieren. Ich malte mir aus, wie sie die Person anschaute, die sich ihr näherte, wie sie denjenigen vielleicht sogar erwartungsvoll anlächelte und kiekste, wie sie staunend die Augen aufriss, als die weiße Tube mit Dichtungsmasse vor ihrem Gesicht auftauchte. Ich stellte mir vor, wie sie lachte, als die Plastiktube in ihrem Nasenloch kitzelte, ehe sie verstummte und anfing, sich zu winden, als die Spitze tiefer hineingeschoben wurde. Ich sah vor meinem geistigen Auge, wie sie anfing, zu würgen und sich aufzubäumen, den Mund weit aufgerissen, die Lunge blockiert. Abgedichtet. Hatte sie einen letzten kindlichen Wunsch entsandt, in den Arm genommen zu werden?, fragte ich mich. Hatte ihr kleiner Verstand Zuflucht in einer Erinnerung an das Gesicht ihrer Mutter oder ihres Dufts oder ihrer Berührung gesucht?
    »Frank?«,
sagte Anderson.
    Ich tauchte aus meinen Gedanken auf. »Ich höre zu«, versicherte ich.
    »Wie ich schon sagte«, fuhr er fort, »wenn ich Darwin Bishop wäre, mit all der Kohle, dann würde ich Billy den besten Anwalt besorgen, den man mit Geld kaufen kann …«
    »Billy?«, unterbrach ich ihn.
    »Sie haben den Jungen offensichtlich umgetauft, als sie ihn aus Russland herübergeholt haben«, erklärte Anderson. »Ganz der kleine Amerikaner.«
    In meinen siebzehn Jahren als Psychiater hatte ich einen einzigen Patienten durch Selbstmord verloren, einen depressiven Teenager namens Billy Fisk. Ich hatte nie aufgehört, mich für seinen Tod verantwortlich zu fühlen. »Gut«, sagte ich.
    »Gut?«
    Ich schloss die Augen und dachte an Fisk.
    »Es gibt keine Zufälle«,
mahnte die Stimme in meinem Hinterkopf.
»Nimm es als ein Zeichen.«
    »Hörst du mir noch zu?«, fragte Anderson.
    Ich sah ihn an. »Was weißt du sonst noch über die Familie?«
    Anderson entspannte sich sichtlich und seufzte.
    »Ich stelle nur eine Frage«, sagte ich. »Das bedeutet nicht, dass ich den Fall übernehme.«
    Er hob abwehrend die Hand. »Selbstverständlich nicht.« Sein Tonfall verriet, dass er genau das Gegenteil meinte. »Wie sich herausgestellt hat, ist Darwin Bishop in Brooklyn aufgewachsen«, sagte er, »obwohl man das an seiner Stimme und seinem ganzen Auftreten nie erkennen würde. Inzwischen ist er durch und durch Park Avenue und Nantucket. Einundfünfzig Jahre alt. Seine Frau Julia hat früher als Model gearbeitet. Es ist seine zweite Ehe.«
    »Bedeutend jünger?«, fragte ich.
    »Mitte dreißig«, antwortete Anderson.
    »Wie hält sie sich?«
    »Was erwartest du?«
    »Ich erwarte nichts. Nie«, erwiderte ich. »Auf diese Weise werde ich nie überrascht.«
    »Sie ist völlig zusammengebrochen«, sagte Anderson. »Ist praktisch nicht aus dem Zimmer der Zwillinge rauszukriegen.«
    »Und wie ist der ältere Adoptivsohn, der siebzehnjährige?«
    Anderson zuckte mit den Schultern. »Ich habe höchstens zehn Minuten mit ihm geredet. Sein Name ist Garret. Bishop hat ihn ein Jahr vor seiner Scheidung adoptiert. Er ist der reinste Musterknabe. Gut aussehend. Nur Einsen an der Andover Academy. Ist in den Tennis- und Lacrosse-Schulmannschaften. Geht im Herbst nach Yale. Du kennst die Sorte.«
    »Hast du etwas aus ihm herausbekommen?«, fragte ich.
    »Ich würde sagen, er steht unter Schock«, erklärte Anderson. »Er hat die ganze Zeit den Kopf in den Händen vergraben und immer wieder gesagt: ›Das kann doch alles nicht wahr sein.‹ Hauptsächlich hat er sich um seine Mutter Sorgen gemacht – ob sie damit fertig wird. Sie litt früher unter Depressionen.«
    »Warum hat Bishop die beiden Jungs überhaupt adoptiert?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung. Ich war mehr an den Jungs selbst interessiert.«
    Ich nickte. »Da ist also Garret, dann Billy, dann Brooke und … wie heißt das Mädchen, das überlebt hat?«
    »Tess.«
    »Garret, Billy, Brooke und Tess.«
    »Genau.«
    »War sonst noch jemand im Haus, bevor sie Brooke gefunden haben?«, fragte ich.
    »Ein Kindermädchen. Claire Buckley. Sie lebt den Sommer über bei der Familie. Sie kümmert sich um die Kinder, bekommt im Gegenzug freie Unterkunft, die Hälfte der Abende und Wochenenden frei – so wie das eben immer läuft.«
    »Jung und hübsch«, bemerkte ich. »Immer an der Seite der Ehefrau.«
    »Haargenau.«
    »Irgendwelche Gäste an diesem Abend?«
    »Nein«, sagte Anderson.
    Ich

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