Infanta (German Edition)
mich vermißt. Genaugenommen fünfundzwanzig Prozent von mir. Aber sie wird darüber hinwegkommen.«
»Heißt das, Sie bleiben, Mister Kurt?«
»Es heißt nur, daß sie Ersatz für mich findet. Wenn ich nicht bald auftauche. Ich dachte, nächsten Monat wäre ich zurück. Zusammen mit Mayla. Aber das geht nicht, hörte ich von ihr. Sie hat zu viel Arbeit. Vielleicht später, im November, oder in einem Jahr, sagte sie. Ich weiß nur nicht, ob ich solange bleiben will. Ich weiß auch nicht, ob ich wieder arbeiten möchte. Und ob ich es kann.«
»Reden wir besser im Schatten, Mister Kurt.«
Sie traten unter das Vordach der Baracke; innen fing die Abfertigung an. Hinter der Sperre drängten sich jetzt die Händler und Schlepper. McEllis setzte die Hündin ab. »Mein Leben ist zu weit fortgeschritten für die Frage, ob es änderbar wäre, ebenso für die Frage, ob ich hätte anders leben wollen. Ihres nicht. Und darum denken Sie nach, Mister Kurt, über sich und Mayla. Nur über Gottes Sohn habe ich länger nachgedacht als über meine Liebe zu der Buchhändlerin. Sie hatte krauses braunes Haar und eine Stimme, die wie geschaffen schien für unser Geraune. Sie konnte mich Honey nennen, selbst wenn jemand neben uns stand, und ich allein hörte den Hauch aus ihrem Mund. Ihr Name war übrigens Rose. Unsere wöchentlichen Gespräche waren im ersten Jahr oft bedrükkend. Sie hatten viel von der Hilflosigkeit bei Ferngesprächen. Ich war immer nur der Liebe Verströmende, sie immer nur die Liebe Empfangende. Erst im nachhinein wurde mir klar, daß Rose meine Besuche in der Buchhandlung anfangs mehr gefürchtet als herbeigesehnt hatte. Sie fürchtete den Amateur in mir. Den Mann, der nicht fähig war, sich zu verstellen. Und natürlich war ich ein einsamer Liebender, das gab mir einen unmenschlichen Zug. Im zweiten Jahr führte sie ihr Honey ein, und unser ganzer Umgang wurde leichter. Zwar litt ich bis zur nächsten Begegnung, aber ich wußte, wofür. Für ein Wort. Im dritten Jahr wurden wir Vertraute. Wir sprachen über alles, was wir gemeinsam erleben könnten. Rose und ich glitten in eine Art Ehe. Diese zwanzig Minuten in der Woche stellten für uns lange Spaziergänge und häusliche Abende dar; sie umfaßten ganze Nächte, ja, einen Urlaub am Meer und die Geburt eines Kindes. Wir liebten uns wahnsinnig, wenn Sie diesem Ausdruck einmal vertrauen wollen. Und damit komme ich auf Ihre Frage nach dem Ende. Treffender wäre das Wort Finale. Ich begehrte Rose, müssen Sie wissen, und eines Tages nahm ich wieder meinen Mut zusammen und sagte zu ihr, daß wir uns über alles hinwegsetzen sollten. Butterworth hatte mich in New York auch auf ein gewisses Hotel aufmerksam gemacht, in welchem keine Fragen gestellt würden. Bekannte, aber mittellose Schriftsteller logierten dort unter falschem Namen mit der Geliebten, hatte er mir zugeflüstert. Ich schlug ihr also zwei Tage New York vor. Für meinen wöchentlichen Buchkauf hatte ich durch Nachtarbeit eine Rücklage geschaffen. Ich erzählte Rose von dieser Reserve und sagte, ich würde alles bezahlen und einen Abend vor ihr in New York sein und die Zimmerfrage klären. Sie sollte dann allein reisen, mit der Begründung, daß sie sich die großen Buchhandlungen ansehen müsse, um ihr Wissen zu erweitern. Als Unterkunft sollte sie ein Gemeindezentrum nennen, von dem Butterworth berichtet hatte, es gehe dort drunter und drüber. Treffen würden wir uns Punkt fünf Uhr nachmittags vor dem Eingang zur Pennsylvania Station. Mein Plan war präzise. Ich hatte alles durchdacht; und das fast militärisch Genaue überlagerte die Ungeheuerlichkeit des Vorhabens. Mit einem einzigen Schachtelsatz teilte ich Rose den Plan mit, während wir über Faulkners Licht im August gebeugt waren, das damals als wichtigste Neuerscheinung galt. Und an diesem sechzehnten April, einem Mittwoch, Mister Kurt, traf mich zum zweiten Mal das Unerwartete. Rose war einverstanden.«
McEllis wollte sich wieder die Pfeife anzünden und hielt wieder inne; sein Vogelblick schien bis an den Ort zu reichen, an dem sich die Geschichte abgespielt hatte. Er ließ das Streichholz fallen und sprach von einer unvergeßlichen Einfädelungszeit. Fast einem halben Jahr des Wartens und Lügens, erfüllt von kindischer Vorfreude und einer quälenden Angst, der Plan könnte scheitern, womöglich im letzten Moment. McEllis sprach von den nicht endenden Gedanken an diese zwei Tage mit Rose: Wie er jede Nacht aufgewacht sei und sich die
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