Infanta (German Edition)
Stunden, die ihnen gehören würden, bis in alle Einzelheiten vorgestellt habe. »Und als sie mir dann endlich vor dem Eingang zur Penn Station gegenüberstand«, sagte er, »war ich vor lauter Vorfreude und Angst vollkommen erschöpft. Ich bekam kein einziges Wort heraus, nicht einmal ein Hallo; ich konnte Rose nur noch zu diesem Hotel führen – einem furchtbaren Hotel nahe der zweiundvierzigsten Straße – und ihr das Zimmer zeigen, das ich für sie reserviert hatte. Es war das einzige schöne Zimmer, hoch oben, genau unter dem O des Hotelnamens Victoria. Rose fragte mich dann, wo ich wohne, und ich sagte ihr, neben dem Fahrstuhlmotor sei noch ein Einzelzimmer frei gewesen, jede Minute wache man auf, und sie lächelte wie am ersten Abend und bot mir das zweite Bett bei sich an. In diesem Augenblick begann unser fünfzigstündiges Glück, Mister Kurt. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich Ihnen davon kaum etwas erzählen, so wie man von manchen Träumen nur eine Stimmung oder Farbe wiedergeben kann. Die Farben dieser zwei Tage waren ein hartes Blau, der Oktoberhimmel über New York, ein mildes Gelb, das durch schmutzige Fliegengitter gefilterte Sonnenlicht, sowie ein schwaches Rot, das nachts vom O auf unsere Laken fiel. Wir verließen das Zimmer nur, um frische Milch zu kaufen. Wir tranken keinen Alkohol und aßen nur Kekse und schliefen keine Minute. Es war glühend heiß in dem Raum, und alle zwei Stunden ging einer von uns unter die Brause. Wir hatten Angst, nicht gut genug zu riechen für den anderen. Und selbstverständlich vermieden wir es, die Toilette zu benützen, was ja immer mit kleinen Geräuschen verbunden ist. Schließlich setzte unsere Verdauung ganz aus. Unser einziges Bedürfnis war Sprechen. Wir lagen aufgestützt nebeneinander und sprachen über uns. Und während bei mir der rechte Ellbogen wund wurde, scheuerte sich Rose ihren linken auf. Liebende, die sich noch erforschen, erkennt man an einem entzündeten Ellbogen. Wir sprachen fünfzig Stunden lang; denn auch das übrige, Mister Kurt, das Wortlose zwischen uns, war noch eine Art von Gespräch, und wie ich mich erinnere, das einfachste, das wir geführt haben. Als wir uns trennten, hatten wir beide ein reines Gewissen. Wir hatten nur über alles gesprochen. Rose fuhr mit dem Bus zurück, ich nahm den Zug. Beide waren wir verwandelt, und niemand ahnte etwas von unserer Aktion. Aber leider war mein Plan tatsächlich von militärischer Qualität – ein Männerplan, der das Wesen der Frau nicht berücksichtigt hatte. Nach dem Triumph kam das Inferno. Rose war, wie gesagt, verwandelt, ihr Mann erkannte sie kaum noch. Er brauchte keine Nacht, um die Wahrheit aus ihr herauszuprügeln; nur meinen Namen verschwieg sie, denn er drohte, mich zu erschießen. Rose sagte, sie hätte mich abends auf der Straße getroffen. Sie machte sich zur Hure, nur um mir nicht zu schaden. Fast auf Knien bat ich sie, alles auf mich nehmen zu dürfen, doch sie verlangte von mir Zurückhaltung. Ich verlor darüber für kurze Zeit den Verstand und wechselte die Universität. Später, als ich schon Priester war, hörte ich, daß Rose ihren Mann verlassen hatte. Ich bin sicher, daß es ihr gutgeht. Denn wer einmal geliebt hat, Mister Kurt, besitzt einen Wegweiser für sein Leben. Rose und ich waren glücklich; wir hatten fünfzig Stunden lang einen Schutzengel.« McEllis ging in den Waschraum, er kam mit tropfnassen Haaren zurück. Die Dreiuhrhitze brütete jetzt über der Piste. Viele der Wartenden schliefen. Kurt Lukas fächelte der Hündin Luft zu.
»Worin genau hat dieses Glück bestanden, Father?«
»Als ob Sie das nicht wüßten.«
»Ich bin mir nicht sicher. Sie und ich, wir haben ganz andere Erfahrungen.«
»Die Unterschiede sind höchstens numerischer Art.«
»Das ist Ansichtssache«, sagte Kurt Lukas und erwähnte die fließenden Anfänge erster Liebesnächte. McEllis lächelte. Er kämmte sein nasses Haar und nannte das allmähliche Vortasten die vielleicht reizvollste Phase, stieß auf Zustimmung und fragte nach Gründen, erfuhr sie und steuerte eigene bei, und so begann ein Gespräch über die Sekunden des Glücks. Über die Worte, die plötzlich jede Angst auslöschen, über den Augenblick, von dem an alles möglich ist, was im Augenblick vorher noch unmöglich schien. Über die Ruhe, die einzieht, wenn einem das Haar der Geliebten auf Wangen und Hals fällt, über die Duftwellen, die ihr Nacken aussendet. Über all die Namen, die man füreinander
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