Infanta (German Edition)
wurde. Unser armer Dalla Rosa leidet noch heute darunter, daß diesen Büchern das Chaos verhinderter Liebe anhaftet. Sie sind unsortierbar, und er weiß nicht, warum. Womit ich sagen will, daß ich diese Geschichte bisher noch nie erzählt habe, Mister Kurt. Die anderen denken, ich sei in Folge einer Haushaltsauflösung an die beiden Kisten geraten. Aber es war eine Seelenauflösung. Sie merken nicht, daß ich diesen Büchern geradezu ausweiche. Denn jedes ruft in mir ein Beratungsgespräch wach, in das kleine Sätze einflossen, die ich beim besten Willen nicht vergessen kann. Sehe ich Butterworth Lord Jim aufschlagen, so höre ich sie auch schon Weißt du, daß du Jims Augen hast? sagen. Derartige Bemerkungen rieben mich auf. Ich war erfüllt von ihnen. Nachts küßte ich mein Kissen. Aber stellte mir auch vor, wie nur wenige Straßen weiter der Mann, den sie nicht liebte, in diesen Sekunden vielleicht seine Arme um sie schlang. Das gesamte Glück meiner Kindheit half mir nicht weiter. Ich zerbrach und konnte dagegen nichts tun. Doch wer nicht durch die Verzweiflung geht, heißt es, wird nicht getröstet. Und ich wurde getröstet. Allerdings Jahre später, durch meine Arbeit, durch diese Insel.« McEllis deutete in Fahrtrichtung. Dichter Palmenwald fiel in Stufen zum Meer ab.
»Und wie endete es?« fragte Kurt Lukas.
»Ich weiß nicht, ob ich das erzählen sollte. Warum erzählen Sie nicht zwischendurch etwas über sich, über den Beginn Ihrer Karriere. Oder ist das nicht bei jedem Mann die interessanteste Lebenszeit?«
»Das glaubte ich immer.«
»Denken Sie heut anders?«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich denke und wann ich denke und wie ich denke. So war das immer schon, und ich kam damit durch.« Kurt Lukas schaltete herunter; die engen Kurven begannen. »Alles Wissenswerte über mich erfuhr ich bei jedem Blick in den Spiegel. Es ist angenehm, wenn man den Menschen nicht durch Gedanken imponieren muß. Als ich neunzehn war, stand meine innere Welt über Nacht fest. Durch den Erfolg von Probefotos. Ich kannte mich nicht, aber trat selbstbewußt auf. Man schrieb mir Eigenarten zu, von denen ich nicht einmal wußte, daß es sie gab. Ich bekam Einladungen, als hätte ich Verdienste. Politiker und Fußballgrößen sind neben mir verblaßt. Einmal hielt man mich für einen früheren Kinderstar, dann für ein kommendes Klaviergenie. Ich brauchte mir weder um meine Vergangenheit noch um meine Zukunft Gedanken zu machen. Mit Anfang zwanzig sah ich nach allen Talenten aus. Wie ein Maler, wie ein Dichter, wie ein Filmheld, wie ein Sportler, wie ein Sänger. Sogar wie ein tragischer Anarchist. Einmal wurde ich verhaftet, ein andermal winkte man mich in eine Demonstration. Ich sollte die Fahne schwenken. Natürlich bewarb ich mich an einer Schauspielschule, aber fiel durch die Aufnahmeprüfung. Man sagte mir, ich sei der Schlechteste gewesen. Erst später, als gefragtes Modell, lernte ich, winzige Rollen zu spielen. Bald verdiente ich gut und hatte meine Eintagslieben. Ich denke, ich kenne mehr Körper als Frauen. Ich kenne zu viele Körper. Und zu wenige Frauen kennen mich. Die, die mich besser kannten, haben sich zurückgezogen. Bis auf meine Agentin. Beatrice ist die einzige Frau, die in meiner Nähe vernünftig bleibt. Sie ist stark und klug, nur leider nicht schön. Eines Tages sagte sie, das Beste, was dir zustoßen kann, ist die Liebe einer Blinden.«
»Und Mayla ist diese Blinde?« fragte McEllis.
»Ich glaube ja.«
Die kleine Stadt am Meer tauchte auf, der graue Schlick ihrer Küste, die Staubwolken über Wegen und Straßen, ihre leuchtenden Blechdächer und das Grün zwischen Hütten und Häusern. McEllis sah zum Himmel und wechselte das Thema. »Gutes Flugwetter«, sagte er. »Die Maschine wird pünktlich sein. Kaum zu glauben, daß Gregorio unter den Passagieren ist. Ich bedaure nur, daß ihn die letzten Briefe nicht erreicht haben. Butterworth hatte, soweit ich das übersehen kann, Gregorio in einem umfangreichen Schreiben auf Ihre Anwesenheit vorbereitet, Mister Kurt. Aber wer weiß, wie er die Vorgänge darstellte. Butterworth besitzt viel Phantasie. Außerdem versteckten Ehrgeiz. Ich kenne ihn seit sechsundfünfzig Jahren. Er studierte damals schon in New York, ich noch in Virginia. Ein Meinungsaustausch unter den Universitäten brachte uns zusammen. Er schleppte mich eine Nacht lang durch Literatencafés. Ich hatte den Eindruck, er war dort nicht sehr beliebt. Ihr neuer Roman
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