Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
Vom Netzwerk:
anderen, kam für jeden der Alten die zweite Erschütterung in Form einer Erkenntnis. Ihr ganzes Dulden, Beobachten und Kommentieren der Liebe zwischen Mayla und dem durch Land und Leute offenbar überforderten Gast war stets in der Vorstellung geschehen, daß Gregorio von alldem bald wüßte; ja, ohne diesen Gedanken wären ihnen Beihilfe und Anteilnahme niemals gelungen. Als sie das – jeder für sich, aber alle im Laufe einer Nacht auf der Terrasse – begriffen hatten, mischte sich in ihre Trauer das Gefühl einer unbekannten Freiheit. Sie verkrochen sich. Eine Woche lang kamen sie fast nur zu Messen und Gebeten aus ihren Kammern. Der Nachrichtenwirbel um das Attentat erreichte sie nicht. Bilder des Erschossenen und eines Mitbruders, der sich über ihn beugt, im Hintergrund ein Mann, der ein Tier erlöst, waren um die Welt gegangen.
    Im Ausland sprach man nur von politischem Mord und vermutete die Auftraggeber in den Kreisen um den früheren Präsidenten. Im Land selbst war die Meinung geteilt. Die Polizei präsentierte den toten Tankwart als Haupttäter, in vielen Presseberichten gab es Anspielungen auf Arturo Pacificador; kaum jemand war überrascht, als zehn Tage nach dem Anschlag die Privatmaschine des Politikers vor dem Start in Brand geschossen wurde, aber Unzählige bedauerten es, daß dabei nur sein australischer Pilot ums Leben kam, während Pacificador den Nimbus der Unverwundbarkeit davontrug. Noch am selben Abend gab er bei dem Retuscheur Adaza ein Plakat für sein Comeback in Auftrag.
    Der Anschlag auf den Ex-Gouverneur fand ebenfalls weltweit Beachtung. Wieder kamen Infanta und seine Prominenz in die Schlagzeilen. Lokalredakteure strichen um die Station; wer das Grundstück betrat, lernte Flores kennen. Die Alten zeigten sich nicht. Nur zum Begräbnis der Hündin waren sie für eine halbe Stunde in den Garten gegangen. Sie hatten sich für einen Platz nahe der Wäscheleine entschieden – weil dort ein gewisses Kommen und Gehen herrsche, so McEllis – und West-Virginia bei Anbruch der Dunkelheit unter die Erde gebracht. Danach war jeder wieder in seiner Kammer verschwunden. Die Stunde des Drinks hatte Pacquin bis auf weiteres gestrichen. Einziges Thema während der Mahlzeiten war Gregorios Begräbnis. Seine Leiche war noch nicht freigegeben; über Ort und Zeitpunkt des Begräbnisses kursierten Gerüchte. Eiferer schürten das Interesse an einem Spektakel. Die Alten befürchteten ein Massenereignis, wenn nicht eine Märtyrerfeier mit neuem Blutvergießen. Immer wieder dachten sie darüber nach, wie sich die Zeremonie klein halten lasse. Auch Kurt Lukas sollte seine Meinung sagen. Geradezu hartnäckig zogen sie ihn in ihre Gespräche; nebenbei achteten sie darauf, daß er aß. Man begegnete ihm wie einem Herzkranken, der sich nicht aufregen darf. Wenigstens einmal am Tag wurde erwähnt, daß niemand zwischen seiner Kopflosigkeit – auf diesen Ausdruck hatte man sich geeinigt – und dem Mord an Gregorio einen Zusammenhang sähe. Maylas Zukünftigen von Mal zu Mal stiller zu erleben, beunruhigte sie. Ebenso seine Abstinenz; Butterworth hatte Flores entlockt, daß sie dringend gebeten worden war, Mayla auszurichten, er werde ihr schreiben. Erst wenn sie seinen Brief gelesen habe, sollte sie ihn nachts besuchen. Aber der Geschwächte machte keinerlei Anstalten zu schreiben.
    Kurt Lukas’ Zustand war der eines Gefangenen, der seinen Prozeß erwartet. Inzwischen gab er sich auch am Schicksal des Australiers die Schuld – ohne das erste Attentat wäre es nicht zu dem zweiten gekommen. Dazu kamen Nadelstiche von außen. Abend für Abend erinnerte Doña Elvira an ihren umgekommenen Trommlerfreund. Sie trug seine bestgehüteten Lieder vor und erfüllte damit Knappsacks letzten Willen. Im Nachlaß des Australiers, einem in ihrer Garderobe verwahrten Koffer mit noch schweißsaurer Fliegerwäsche und alten Musikzeitschriften, hatte sich auch eine Art Testament befunden. Es trug die Überschrift »Im Falle meines Todes für Hazel und Doña Elvira, mit der Bitte, nach den Liedern zu tanzen und zu singen und die von mir verschlossene Box nicht mit Gewalt zu öffnen«. Dem folgte eine Liste mit den Codes seiner Leib- und Magenschlager. Die Sängerin hatte darauf sofort jedes in der Truhe noch enthaltene Geheimnis gelüftet und zum ersten Mal Bekanntschaft mit italienischen Schnulzen gemacht. Eine kleine Sammlung in der Sammlung, die Knappsack so nahegegangen war, daß er sie nicht einmal erwähnt hatte. Lieder,

Weitere Kostenlose Bücher