Infanta (German Edition)
Stimme, »Sie fahren recht ordentlich. Ist es nicht seltsam«, sagte er noch, während ihm Tränen aus den Augen liefen, »wie schön trotz allem der Abend ist.«
Die Landschaft leuchtete unter der schrägen Sonne. Rötlicher Flor schwebte über den Reisfeldern. Der Himmel ließ die Krümmung der Erde erkennen. McEllis wischte sich die Wangen ab. »Die anderen sind jetzt schon nervös, Mister Kurt. Horgan läßt sich die weißen Schuhe anziehen. Butterworth feilt an den Begrüßungsworten. Pacquin reißt das letzte Unkraut aus. Dalla Rosa sortiert noch ein bißchen. Und bei jedem Motorengeräusch treten sie auf die Veranda, während Flores in der Küche ihr Bestes gibt – und alles für einen Toten, so will es Gott.« Er sagte das ohne Bitterkeit und strich dabei der Hündin durchs Fell. »Die kleine Dame hat Ihnen vermutlich das Leben gerettet, wissen Sie das? Sie hat das Geschoß von Ihnen abgelenkt. Jedenfalls sollten wir es so deuten. Wir müssen noch im Schlimmsten einen Sinn suchen, sonst sind wir verloren.« McEllis machte eine Pause und fügte dann rasch hinzu: »Nach der Trennung von Rose wurde mir das bewußt, Mister Kurt. Erst das Unglück formte aus mir einen Menschen wie Gregorio. Oder auch einen Menschen wie Gussmann; womit ich sagen will, ich habe Ihnen vorhin noch nicht alles erzählt.« Er faltete die Hände über dem Gesicht und sprach im Ton eines Gebetes weiter. »Sie müssen wissen, ich habe Rose später noch einmal wiedergesehen. Es ist zwanzig Jahre her. Mein Vater war gestorben, die Familie kam zusammen. Ich blieb einen ganzen Monat und traf Rose durch Zufall, besser gesagt, durch Fügung. Eine schöne gereifte Frau, Übersetzerin spanischsprachiger Literatur. Sie war frei, ich war es nicht. Doch ich sprang über meinen Schatten, denn es ging um mein Heil; das war am elften Juni. Am zwölften nahmen wir den Bus nach Atlantic City. Wieder litten unsere Ellbogen, wieder sprachen wir über alles. Und am neunzehnten Juni, morgens, waren die Wunden aus den Jahren nach unserer Trennung geschlossen. Wir gingen als ganze Menschen auseinander. Man kann nicht glücklicher Abschied nehmen. Und auch das ist Gottes Wille, Mister Kurt; auch dieses Aufatmen steckt in seiner Schöpfung. Und solche Stunden wie heute.«
McEllis sah auf die Uhr. Sie hatten die Nebenstraße nach Infanta erreicht. Es war Nacht geworden; über den Bergkuppen am Horizont stand der Mond. Kurt Lukas schien um sein Leben zu fahren. Er raste und schwieg. Erst am Ortseingang bremste er, und ein Schwall von Worten brach aus ihm hervor. Er erzählte von dem Wahllokal, dem ausgerissenen Herzen und seiner Angst, nicht mehr fortzukommen von dieser Insel, von Narcisos Angebot und seinem Verrat. Sie fuhren an der Poststelle vorbei, im Schalterraum ging gerade das Licht aus. »Glauben Sie wirklich«, fragte McEllis, »Gregorios Schicksal habe in Ihren Händen gelegen?« Er sah sich um. Offenbar wußten die Leute in Infanta noch nichts. Man sah Gedränge in den Schönheitssalons und hörte Doña Elvira. Kurt Lukas konnte nicht antworten. Seine Zähne schlugen aufeinander. Er bog in den Pfad zur Station. McEllis berührte ihn an der Schulter. »Du solltest wieder bei uns wohnen«, sagte er, ehe er laut zu beten begann. »Barmherziger Gott, wir danken Dir, daß Du uns erlaubst, Dich anzurufen. Barmherziger Gott, wir danken Dir, daß Du uns hörst. Wir sind mit unserem Verstand ganz am Ende, laß uns nicht in Teile zerfallen.« Sein Gebet wurde leiser und wiederholte sich. Nach dem Amen zog McEllis den Zündschlüssel heraus. »Das letzte Stück gehen wir, Mister Kurt.« Sie sahen die Lichter der Station.
Es war genau acht, als sie auf die Veranda zugingen und die übrigen aus der Tür traten. Zuerst Pacquin mit seinen winzigen Schritten, dann Horgan, gestützt von Butterworth und Dalla Rosa, während Doña Elviras Gesang mit einemmal abbrach, kaum daß sich die Meldung verbreitet hatte, und sie noch Good Lord murmelte, bevor sie die Lautsprecher abschalten ließ. McEllis preßte die tote Hündin an sich; er schritt jetzt voraus. Kurt Lukas konnte nicht mithalten. Ihn verließen die Kräfte. Aber er hörte und sah. Ein Gecko tönte – siebenmal, leise, empört; gleichzeitig löste sich Butterworth aus der Gruppe. Er kam auf sie zu. Seine Lider flatterten wie zwei kleine gefangene Falter.
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G regorio würde es also nie erfahren. Nach dem großen über sie hereingebrochenen Leid und Tagen, die einander glichen wie eine Schweigeminute der
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