Infanta (German Edition)
Brust riß, und verlor meine Nerven. Aber ich bin nicht schuld an dem Attentat, das sagen mir die Alten immer wieder, und inzwischen glaube ich es. Offenbar bin ich zu einer großen Sünde nicht fähig. Ich bin der typische kleine Sünder. Und der Preis für kleine Sünden ist dieses Gefühl eines endenden Urlaubs, das ich Dir nicht klarmachen kann; ich müßte von Urlauben erzählen, und das könnte ich ebenso wenig. Wer kann schon von Glück reden . . .« Er sah über das Tal, und diese ganze unsagbare Fülle war plötzlich da – zuviel für ein Blatt Papier, zuviel für Mayla, zuviel für ihn selbst – der mittelmeerische Juli-August-September. Das Autowandern von Örtchen zu Örtchen, das Mittagessen im blendenden Licht, eisiger Wein zum mattweißen Fisch, das Schläfrigwerden unter Pinien, Harmonie mit der Zeit; am späten Nachmittag der Sturz ins Meer, das Tauchen, Schwimmen und ein Salzkuß; der Sog nach der Welle, das Trocknen im Sand. Alles kommt auf einen zu, allem treibt man entgegen. Dem frühen Abend, dem guten Zimmer, dem Bett mit seinem kühlen Laken; den Händen, die einen wecken, dem wartenden Mund, der kleinen Erlösung; dem Essen, das Heißhunger stillt. Immer heftiger werden die Wünsche, immer prompter die Erfüllungen. Nachts endlos ohne Hemd im Freien sitzen. Wolkenloser Morgenhimmel. Schon ab neun das Rasen der Zikaden. Schon ab zehn der Duft glühender Bootsfarbe. Frühstücken bis zum Mittag, danach traumloser Schlaf; ein Ausflug gegen Abend, vage das Ziel. Abstecher, Entdeckungen und ein glücklicher Zufall – Konzert in einer Arena, es gibt noch zwei Karten; die Musik und die Nacht, später noch ein Lokal, dann Gang durch die schweigenden Gassen, ein Traum im Traum vor der Rückfahrt. Dem Sonnenaufgang geht es entgegen, dem Morgen an gewaschenem Strand, vor sich den Tag, die Woche, den Monat und mehr, den ganzen großzügigen Sommer, bis das Blau des Himmels, an nördlichen Küsten schon im September, auf Sizilien oder Kreta erst ab Oktober, seine tiefste Tiefe annimmt, als richte sich das Meer schließlich auf und drohe einen zu begraben. Danach erlischt das Licht, oft von einem Tag zum anderen, und alles wird eng . . . »Wenn die Sonne ihre Kraft verlor«, schrieb er weiter, »die Nächte länger wurden und die Geliebten in ihr Ehebett zurückkehrten, kam bald das erste hoffnungslose Wochenende. Die am schwersten zu ertragenden Stunden lagen meist zwischen neun und elf, also der mittlere Abend (so ist es auch jetzt); dann begannen die sinnlosen Tätigkeiten. Ein altes Lied hören, drei Minuten. Ein Stück Käse essen, vier Minuten. Einen Blick auf jedes Programm werfen, sechs Minuten. Sich ausziehen, ansehen, zehn Minuten. Usw. Ich will Dich nicht langweilen, Mayla, darum höre ich auf. Ich will Dich lieben und wiedersehen, doch irgend etwas hält mich hier fest. Im Augenblick sitze ich neben Horgan auf der Terrasse, während es dunkel wird. Anfang nächster Woche will ich aber im Laden sein, um Ordnung zu machen – komm doch am Abend. Ach, Mayla, ich will, daß alles einfach wird; ich selbst wäre gern einfach, nur ist es dafür seit langem zu spät. Mit dreizehn wollte ich aussehen wie bei uns die Schiffsschaukelbremser , ich kenne das englische Wort nicht; es sind wunderbar abgerissene Männer auf Jahrmärkten. Und als ich später den Mädchen auffiel, da wollte ich Sänger und Maler sein, Modekönig, Tennisspieler und Vizekonsul auf Ceylon und bin nichts von alledem geworden. Dein Geliebter . . .« – ein leises »Weil« ließ ihn den Brief beenden. Horgan hatte jetzt seine Geschichte parat.
»Nun, dank unserer schon etwas gespenstischen Harmonie siegten meine Partnerin und ich an diesem Sonntag. Bei dem Wort Harmonie fällt mir ein – ich erzähle diese alte Sache Ihnen, Mister Kurt, und nur Ihnen; überflüssig hinzuzufügen, daß mir das Sprechen leichter fällt, als allgemein angenommen wird. Aber weiter. Meine Partnerin Phyllis, so ihr Name, war die Tochter eines prominenten Professors für neuere Philosophie, heimlich liiert mit einem dumpfen Weitsprungmeister; später erfuhr ich, daß es da auch noch einen Korbball- und einen Boxmeister gegeben hatte. Phyllis zählte zu diesen künstlerisch begabten jungen Frauen – sie wollte Bildhauerin werden –, die sich mit Männern unter ihrem Niveau umgeben. Sie besaß dadurch auch seltsame Kenntnisse, zum Beispiel über Glücksspielautomaten. Mich beeindruckte das gar nicht. Während eines Drinks nach dem Match sagte ich
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