Infanta (German Edition)
zu ihr, sie solle sich lieber einen Stein besorgen und eine ordentliche Pieta machen. Und erzielte einen Volltreffer. Sie lud mich in ihr Elternhaus zum Sonntagsessen ein. Dazu darf ich bemerken, daß ich in zerrütteten Verhältnissen aufwuchs und für alle Formen von Familien- Gemütlichkeit – ein deutsches Wort, um das ich Sie beneide, Mister Kurt – äußerst anfällig bin. Phyllis’ Vater kannte mich im übrigen von einem Nietzsche-Referat, das ich gehalten hatte.« Horgan legte eine Pause ein und erzählte dann, wie er zwei Straßenecken vor dem Elternhaus einem Herrn, der mit Blumen zu einem Rendezvous unterwegs war, die Hälfte des Straußes abgeschwatzt hatte. »Ich kam also mit Blumen, obgleich Sonntag war, und Phyllis schien stolz auf mich. Der Mittagstisch war unter einem blühenden Baum gedeckt, ich bekam einen Ehrenplatz. Es gab zunächst frische Kräutersuppe, danach selbstgefangene Forellen. Die Frau des Professors zerlegte sie mit altem Silberbesteck. Ihr Mann sagte etwas über den Weißwein. Er sprach in seiner häuslichen Umgebung Mundart, jenen milden Dialekt der klugen Heimatmenschen; ebenso Phyllis in Gegenwart ihrer Eltern. Ich war hingerissen. Gewiß kennen Sie den Unterschied zwischen Leben und Ambiente, Mister Kurt. Alles in dieser Familie war Leben – ich kam aus dem Staunen kaum heraus. Zum Kaffee sollte ich mit dem Professor eine Zigarre rauchen, die Sonntagskaffeezigarre, die ich tapfer zu Ende paffte, während seine Frau schon den Kirschkuchen verteilte, wobei sie mich und ihre Tochter keinen Moment aus den Augen ließ. Später erfuhr ich, daß Phyllis zum ersten Mal einen jungen Mann mit nach Hause gebracht hatte. Von den dumpfen Bekannten ihrer Tochter hatten die Eltern nicht die geringste Ahnung. Und noch später, zu spät, begriff ich, daß ich Phyllis an diesem Tag nur als Ablenkung von ihren obskuren Verbindungen diente. Sie hatte mich gewissermaßen zum Strohfreund erkoren – ich spürte während der Zigarre förmlich die erste Schwiegersohnprüfung. Damals stand ich vor der Entscheidung, ob ich Lehrer oder Missionar werden wollte, war also durchaus ein Kandidat. Ich war sportlich, glaubte an Gott und Amerika und konnte über Nietzsche referieren, ohne den Eindruck geheimer Leidenschaften zu erwecken. Nehmen Sie es mir als Deutscher nicht übel, Mister Kurt, aber selbst das traurige Turin-Kapitel lockerte ich mit Pointen auf. An diesem Sonntag brachte mir das Punkte, wurde aber auch zum Bumerang. Ich merkte nicht, wie ich von Phyllis – ein wundervoll kräftiges Geschöpf nebenbei, mit etwas träger Stimme – benutzt wurde, ja, ich merkte nicht einmal, daß sie sich inmitten dieses sonntäglich-durchkomponierten Familienlebens, Gott weiß, warum, in mich verliebte. Das heißt, sie wollte auf einmal allein sein mit mir, was auf Hindernisse stieß; denn nach der Zigarre kam für ihren Vater das Nachmittagsplaudern, dem zwangsläufig der Spaziergang mit den Hunden folgte. Aber ihre verborgenen Verhältnisse hatten Phyllis erfinderisch gemacht. Sie erklärte, sie wolle mit mir eine Radtour unternehmen, und nannte Sehenswürdigkeiten, die man ansteuern könnte, worauf ihr Vater sofort eine Ideal-route für uns ausarbeitete, die so viele Anlaufpunkte hatte, daß wir auf natürliche Weise vom Fünfuhrspaziergang befreit waren. Phyllis und ich radelten also los, und ich wunderte mich über ihren prallen Sportsack auf dem Sattel. Sie fuhr voraus, schnurstracks in einen Wald, weit ab von der Ideal-route. Dort führte sie mich zu einem Plätzchen im Unterholz, das sie wohl kannte, holte eine Decke aus dem Sack und breitete sie auf dem Nadelboden aus. Dann küßte sie mich auf den Mund, und meine sonst zuverlässigen Knie gaben nach. Schon lag ich auf der Decke, während Phyllis aus ihrem Sportsack ein Fläschchen hervorzog. Sie trug einen Tropfen daraus auf ihre Fingerkuppe auf und verrieb ihn rasch im Nacken; es geschah unter meinen Augen, Mister Kurt, und doch blieb es geheimnisvoll, wie betörend Phyllis roch, als sie sich über mich beugte. Ein unvergeßlicher Moment – auch ich verliebte mich. Was dann geschah, lasse ich offen, nur soviel: Phyllis schlief darüber ein. Meine erste Theorie war die einer Ohnmacht. Als nächstes glaubte ich, sie sei von ihren gutgemeinten Lügen todmüde geworden. Und schließlich dachte ich an Kinder, die, nachdem sie einen Wirbel gemacht haben, umfallen und schlafen. Nennen wir es also Wirbel – ein Wirbel, der mich nicht erkennen ließ, daß
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