Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
Vom Netzwerk:
ab.
    Auf Elisabeth Ruggeris Band war dieses plötzliche Stillwerden später deutlich zu hören. Es währte nur kurze Zeit, in der die Journalisten unter den Rufen Sabotage und Auf zur Station im Schein von Taschenlampen durch die Hintertür ins Freie verschwanden, während Doña Elvira ihren gesprengten Anzug abstreifte und eine Bedienung in die Garderobe rief, jemand müsse am Schalterkasten gebastelt haben. Als Licht und Musik wieder angingen, waren die Sängerin und Mayla allein; Elisabeth Ruggeri war zur Luke geeilt, den Steilpfad hinuntergerutscht und hatte bereits einen Vorsprung vor ihren Kollegen.
    »Dein erster Besuch bei mir«, sagte Doña Elvira. »Ich werde dich herumführen.«
    Mayla folgte der Sängerin in die Tiefe der Garderobe. »Aber ich habe nur eine Frage.«
    »Dann muß sie sehr wichtig sein.« Doña Elvira verschwand in ihrem hängenden Kleiderwald; sie suchte etwas Elegantes für den nächsten Auftritt. »Ich höre dir zu«, rief sie.
    »Lukas war doch oft hier oben, nicht wahr?«
    »Sprichst du von Kurt? Er war vorhin erst hier. Ich beneide dich um ihn. Ich glaube, er versteht es, schöne Stunden zu bereiten. Ein ganzer schwacher Mann.«
    Mayla setzte sich auf einen Koffer. Sie erzählte von den Italienplänen, die er hatte, und fragte die schwarze Sängerin, ob sie das Gefühl habe, daß ein Mensch wie er hier glücklich werde.
    »Du bist eine schöne Frau. Ich kenne keine schönere weit und breit. Also wird er sich nach keiner anderen sehnen. Also kann er hier glücklich werden.«
    »Andere Frauen sind auf ihre Weise schön. Es gibt keine häßlichen Frauen.«
    »Unsinn« – Doña Elvira trat mit einem Hauch von Abendkleid vor ihren Schminkaltar –, »jede Häßliche würde dich auslachen. Zum Beispiel ich.« Sie lachte Tränen und bat Mayla, ihr in das Kleid zu helfen. »Sieh mich an. Macht mich dieser Stoff etwa schön?«
    »Ja.«
    Doña Elvira holte Flaschen und Gläser. »Reden wir also über Schönheit«, seufzte sie. »An dem Tag, als die Entführung De Castros bekannt wurde, kniete ich mich in der Kirche vor die Beichtwand; alle haben mich gesehen, auch du, aber nur dein Freund hat in diesem Augenblick gewußt, daß ich allein für ihn so kniete, oder sagen wir besser, mich bückte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Meine ganze Schönheit lag in meiner Haltung.«
    »Da sind Stimmen, ich glaube, es ist etwas passiert«, sagte Mayla, aber Doña Elvira hörte nicht zu. Über ihre Wangen flossen noch Tränen, doch sie lachte nicht mehr. »Meine Schönheit«, rief sie, »ist immer nur Schönheit in anderer Form. In Form meiner Stimme, meiner Bewegungen, meiner Ideen. Und natürlich besitze ich schöne Kleider. Aber all das gäbe ich für Lippen wie deine oder eine Nase, wie du sie hast. Sogar für deine Füße.«
    »Ich höre Schreie«, sagte Mayla.
    »Dann hätte ich wenigstens für die Füße Anspruch auf ein Schönheitskompliment. Weißt du, welche Art von Komplimenten ich erhalte? Meinen Bauch nannte jemand einen geheimnisvollen Teig. Ein anderer verglich meine Nasenlöcher mit Nebenkratern. Von meinen Hüften hieß es rühmend, sie führten ein Eigenleben. Von meinen Zähnen, sie könnten Steine zerkleinern. Von meinen Haaren, man ersticke darunter. Von meiner Haut, sie sei schwärzer als die Nacht . . .«
    Die Garderobentür flog auf, der Kleiderwald wogte, Funken sprühten, Schnüre rissen, und Hazel, nur den falschen Nerz am Leib, rannte auf Mayla und die Sängerin zu; sie schrie etwas von Feuer, Ferdinand und Qualm, von Fackeln, Panik und Benzin, und Doña Elvira erblaßte.
    »Das ist das Ende vom Lied«, sagte sie.

I n allen Kammern der Station brannte an diesem Abend noch Licht. Weder die Alten noch ihr Gast, noch der Novize gingen zu Bett. Die Hitze war wie ein Feind, der zur Wachsamkeit zwang. Horgan saß auf der Veranda. Pacquin und Dalla Rosa waren bei dem Toten. McEllis schloß die letzten Türchen. Augustin patrouillierte ums Haus. Kurt Lukas saß auf seinem Balkon. Butterworth schrieb in der Leseecke. Es war noch nicht zehn und doch schon still wie tief in der Nacht. »Als gingen unsere Uhren falsch«, notierte der bleiche Priester. Auch diese verwirrende Stille – keinem fiel auf, daß der Musiklärm von der Bude fehlte – ließ die Greise geschäftig bleiben. Die Schwerarbeit des Einschlafens hätte sich außerdem kaum gelohnt; nach der Journalisteninvasion hatte Pacquin eine Doppelwache am Sarg angeordnet, Ablösung alle drei Stunden. Butterworth hatte noch

Weitere Kostenlose Bücher