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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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ohne dramatisches Rauschen; ein Sargmacher hatte in aller Eile neue Kabinen gezimmert, jede mit Bullauge wie der Prototyp. Tag und Nacht kamen Überseegespräche an, die alten Schalterstunden galten nicht mehr. Jesus Fidelio stand vor dem Kollaps. Ebenso Narciso; man filmte seine Einsätze, man nahm seine Hupe auf, man ließ ihn Waffen vorführen. Aber auch die Seelen der Namenlosen blähten sich vor den Kameras; ganz Infanta trieb dem inneren Knall entgegen wie ein Stern, der plötzlich rasend an Dichte zunimmt. Noch das Geringste erlangte Bedeutung, selbst ein Abtritt wurde Drehort. »Wenn es schon keine Bilder vom Beerdigungschaos gibt, soll die Welt wenigstens eine Vorstellung von ihrem Arsch bekommen«, bemerkte einer der Dramaturgen dazu.
    Als die Korrespondenten und Kameramannschaften, teils in Bussen, um der Bevölkerung nahe zu sein, teils in bulligen Geländefahrzeugen, schließlich eintrafen, fanden sie eine Idealkulisse vor. Der ganze Ort spielte mit; nur der Bischof und seine Sekretärin und die Station und ihre Bewohner spielten leider verrückt, wie es unter den Deutschen hieß. Sie zeigten sich kaum. Sie wiesen Spenden zurück. Sie gaben keine Erklärungen ab. Und das, obwohl täglich mehr und mehr Menschen vor dem Friedhof standen, um Gregorios Sarg zu berühren; die meisten glaubten jetzt an ein Schnellbegräbnis, unangekündigt, notfalls bei Dunkelheit. Aber nichts geschah. Drei ereignislose Tage und drei windlose Nächte verstrichen. Die aus aller Welt Angereisten konnten nur warten. Und der einzige Platz, an dem es sich, Bowles zufolge, in Infanta aushalten ließ, war natürlich Doña Elviras Musikreich.
    Zu Beginn der vierten Brutnacht, die Butterworth später als Nacht der großen Heimsuchung bezeichnete, war ihre Bude bereits brechend voll. Journalisten aller maßgebenden Fernsehnationen ließen das stickige Lokal und seine Besitzerin hochleben. Doña Elvira atmete auf. Nach dem Attentat waren Besucher ausgeblieben; viele hatten Scheu, sich öffentlich zu amüsieren, solange Gregorio noch nicht begraben war. Und in dieser Lage hatte sie obendrein den Fehler begangen, mit billigen Handzetteln – die Fotokopie eines Bildes von ihr, auf der sie nur aus körnigen Massen zu bestehen schien – für sich und ihr Haus zu werben, woraus manche den Schluß zogen, daß bei ihr nicht die Einnahmen abgenommen hätten, sondern das Selbstbewußtsein. Ihr Prestige war gesunken. Die Handzettel dienten in Garküchen als Servietten, Kinder falteten Flieger daraus, und viele hingen schon am Papierspieß eines Klosetts. Empfindsam wie jede starke Frau, hatte die Sängerin schnell das Bröckeln ihrer Machtvollkommenheit bemerkt und gegengesteuert. Neue Zettel waren in Umlauf gekommen, Zettel mit einem vereinfachten Ortsplan, auf dem die Bude als Mittelpunkt Infantas dargestellt war, von dem nach allen Richtungen Pfeile ausgingen wie Strahlen von einem starken Gestirn. Neben den Programmankündigungen stand ein Hinweis auf Raumvermietung an Journalisten, mit Extraservice, nach Vereinbarung . Und dieser verbesserte Handzettel, zu passender Stunde im Ort verstreut, brachte den Erfolg.
    Nach der drohenden Pleite drohte ihr nun der Größenwahn. In jener vierten Nacht ohne Abkühlung war die Welt bei ihr zu Gast, und die Preise wurden Weltstadtpreise. Den zu erwartenden Überschuß hatte sie im voraus in einen Projektor investiert, der auf Folien geschriebene Schlagertexte gestochen scharf auf eine Leinwand warf; wer singen wollte, brauchte jetzt nicht mehr die schmierigen Spickzettel. In Tag- und Nachtarbeit hatten Doña Elvira und Hazel die Texte populärer Lieder aus Amerika, Deutschland, Italien und anderen Ländern nach Büchern, die zu Knappsacks Hinterlassenschaft zählten, auf die Folien geschrieben, mit dem Ergebnis, daß bisher nie gehörte Gassenhauer wie Ciao Ciao Bambina oder Marmor, Stein und Eisen bricht über Infanta schallten. Die Sängerin selbst brachte an diesem Abend nur ihre Glanznummern; sie hätte sich gern mehr verausgabt, doch ohne Ventilatorträger waren jedem Auftritt im Sternenbanneranzug, den sie für ihre amerikanischen Gäste ausgepackt hatte, Grenzen gesetzt; Ferdinand war seit seiner öffentlichen Bloßstellung nicht mehr gesehen worden. Nur seine Tante schwor darauf, daß er zurückkehren werde; Hazel vermißte ihren Beleuchter. Auf allgemeinen Wunsch zeigte sie ihre Nummer jetzt dreimal am Abend, das erste Mal schon zur Essenszeit, und beendete die Darbietung neuerdings –

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