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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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sie. Dalla Rosa griff nach den Zahnstochern; beide Hände am Mund, stand er auf und trat vor die Bücherwand.
    Der Gast folgte ihm.
    »Gibt es hier auch Romane«, fragte Kurt Lukas.
    »Es gibt hier die ausgefallensten Romane. Dieser Bibliothek haftet überhaupt etwas Ausgefallenes an. Sie basiert auf einer Schenkung, ich möchte nicht näher darauf eingehen« – Dalla Rosa dämpfte die Stimme –, »aber ich habe den Eindruck, da wollte sich jemand von seinen Büchern befreien. Ich bin auf die unterschiedlichsten Werke gestoßen. Wenn Sie das Niederdrückende bevorzugen, hier finden Sie es. Wenn Sie das zu Herzen Gehende mögen, brauchen Sie nicht lange zu suchen. Ja, Sie werden sogar manches zur Leidenschaft finden. Und immer vom Feinsten – ich sage das als Leser. Als der einzige Vollblutleser in diesem Haus.« Und damit vertiefte er sich in das Betrachten der Titel. Wie bei jedem neuen Ordnungsversuch begann er mit dem Varia-Fach, das ihm am meisten Kopfzerbrechen machte.
    Butterworth ging, der Superior ging; und plötzlich waren auch Horgan und Dalla Rosa verschwunden. McEllis nahm sich das Wetterbuch noch einmal vor. »Allein mit unserem Gast«, notierte er. »Mister Kurt wirkt erschöpft. Steht am Fenster, beide Arme erhoben, und stützt sich am Rahmen. Etwas intime Art, sich anzulehnen. Schnappt vergebens nach Luft. Draußen ist es wie drinnen – unerträglich. Scheint jetzt so, als behielten wir ihn.« McEllis sah auf. Wieder stieß ein Gecko sein rasches Zt-zt-zt-zt-zt-zt-zt aus, und Kurt Lukas machte es leise nach.

I n dieser dritten Nacht ohne Abkühlung war es noch zu einem ungewöhnlichen Treffen gekommen, über das Butterworth zwei Tage später Einzelheiten erfuhr. Er hätte diesen Bericht gerne festgehalten, aber seine Schreibhemmung ließ es nicht zu. Je älter er wurde, desto unmöglicher schien es ihm, ohne Adressaten zu schreiben. Man schrieb nicht nur für sich, zum Vergnügen. Natürlich waren das auch Ausflüchte. Butterworth fürchtete den Kritiker in sich. Jeden seiner Anläufe, Jahr für Jahr Anfang Januar, über den Königsweg des Tagebuchs, hatte dieser Kritiker zerpflückt: zu eitel, zu unverbindlich, leblos. Und was hätte man aus dem Bericht nicht alles machen können! Es ging um eine Begegnung zwischen Mayla und Narciso, die zu einer Tätlichkeit geführt hatte. Er versuchte, sich den Ausbruch zu erklären. Wie sah es in einem Mann aus, der sich plötzlich vergessen konnte? Butterworth – er selbst hatte sich in diesen Stunden des Wachliegens eine Entgleisung Mayla gegenüber vorzuwerfen – stand auf und schöpfte Luft am Fenster; der Morgen schien noch fern. Hellwach ging er wieder ins Bett und gab sich seinen nächtlichen Lieblingsbeschäftigungen hin. Er versetzte sich in einen anderen Menschen und schrieb, indem er dachte.
    Narciso. In heißen Nächten fuhr er ja bekanntlich immer durch den Ort und blickte mit einem gewissen Ekel auf alles, was lebte. Auf die Krüppel, die sich an den Wegrand rollten. Auf die hustenden Hunde. Auf die Frauen, die keinen Schlaf fanden, vor ihren schiefen Hütten standen und sich mit Liebesheftchen Luft zufächelten. Auf die Leute, die unter nikkenden Farnen lagen wie gesegnet von der Natur, diesem höhnischen Luxus rund um die Armut. Zwischen Gardinen aus Orchideen starben Kinder an einfachen Krankheiten, die Eltern nahmen es hin. Narciso hatte für diese Ergebenheit vermutlich nichts übrig. Aber, wie man wußte, war ihm auch jeder zuwider, der die Leute aufrütteln wollte, alle Priester und die Kommunisten, die ganze Opposition mit ihrer Führerin, die man die Tapfere Witwe nannte. Er kam aus anderen Kreisen. Sohn eines Unbekannten, wie sich herumgesprochen hatte. Vier Jahre Militärdienst, danach Polizeischule; dort sicher oft gedemütigt, weil er nach oben drängte, lautlos, zäh und einsam, bis zum Offizierspatent. Butterworth hatte fast Mitleid mit ihm.
    Jedenfalls parkte Narciso in der Nähe von Maylas Hütte und ging das letzte Stück zu Fuß, bestimmt mit gezogener Waffe. Ein Polizist, der in Hitzenächten allein durch den Ort lief, konnte am anderen Morgen durchaus ohne Kopf gefunden werden. Natürlich hatte er Angst. Aber die mischte sich wohl mit seiner Nervosität, weil er zu dem schönsten Mädchen weit und breit ging. Er wollte Mayla zu dem Gast auf der Station befragen. Nächtliche Verhöre waren seine Spezialität. In ihrer Hütte brannte kein Licht; Hazel tanzte in der Bude, Mayla war auf dem Heimweg. Narciso hatte sich Ort und

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