Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
Vom Netzwerk:
machte die Wettereintragung. Das Buch enthielt, neben den eingeklebten Notizen, die Daten eines ganzen Jahres. Die abgeschlossenen Bände zählte er bereits nicht mehr gern. Nach der Pflichteintragung schrieb er auf einen vorbereiteten Zettel: »Mister Kurt scheint endlich ausgeruht zu haben. Sitzt neben unserem versunkenen Horgan und blättert leise, will wohl nicht stören. Hat sich gekämmt, hat sich rasiert und trägt Socken, als wolle er ausgehen. Liest einen Satz und blättert weiter, streicht sich das Nackenhaar, berührt seinen Mund; ein herrenloser Mensch.« Kurt Lukas hatte sich eins der Werke über die Geschichte der Gesellschaft Jesu genommen und hätte auch geräuschvoll blättern können.
    Denn Horgan schlief nicht. Er spähte sogar durch einen Lidspalt – daß ihr Gast ausgerechnet an Pater Huysmans überflüssiges Buch geraten war, störte ihn. Doch verzog er keine Miene. Seit seinem Muskelschwund pflegte er einen taktischen Schlaf. Wie eine Maske lag der Anschein von Abwesenheit über seinem Gesicht. Dahinter verbarg sich ein hellwacher Horgan, immer bereit, durch ein plötzliches Wort zu verblüffen: »Hallo, Mister Kurt, man hat Sie wenig gesehen.«
    »Ich habe viel geschlafen.«
    Schlaf mache ja schön, warf Dalla Rosa ein. Oder etwa nicht, wandte er sich an Horgan – wer denn der Schönste im Raum sei. Der Superior unterbrach seine Runde. McEllis klappte das Wetterbuch zu. Butterworth rollte die Zeitung zusammen. Kurt Lukas schaute zur Durchreiche. Bis auf das Summen der Leuchtröhre wurde es still. Horgan führte eine Hand zum Mund und sah alle der Reihe nach an. Er nahm die Frage sehr ernst. Erst als er die Augen schloß, beugte sich Dalla Rosa zu ihm, hörte das Schönheitsurteil und gab es bekannt: »Father Pacquin mit seinen seidigen Ohren.«
    Der Superior machte eine wegwerfende Geste, stieß aber auch einen dünnen Jauchzer aus. Damit war das Thema erledigt. Man ging zu Tisch. Es gab Steckfischchen und Reis. Eine Flasche mit Würzflüssigkeit und ein blasser Ketchup machten die Runde. »Nun«, fragte Butterworth, »wie gefällt Ihnen unser Ort, Mister Kurt?«
    »Ich war erst einmal unterwegs.«
    »Und was haben Sie gesehen?«
    »Viele Hütten. Die Hauptstraße. Läden, einen Markt, bunte Jeeps; die Kirche . . .« Er spürte die Hündin am Bein und versäumte es, einen Punkt zu machen. »Außerdem traf ich die junge Frau, die hier arbeitet.«
    »Sie meinen Mayla.«
    McEllis und Butterworth hatten im Chor gesprochen. Ein Novum. Der bleiche Priester erholte sich davon etwas rascher. »Man kann hier jeden Menschen überall treffen«, sagte er, während er Horgans Faden wegstrich. »Infanta ist keine Stadt, auch wenn wir einen Polizeichef haben, Sie kennen ihn ja bereits. Er zählt übrigens zu den Leuten, die wir auch mit Liebe nicht mehr erreichen. Selbst wenn sie uns zuhörten, wüßten sie nicht, wovon die Rede ist. Symptom eines Bürgerkriegs, Mister Kurt.«
    »Sie lieben jeden, nicht wahr?«
    »Liebe ist unser erstes Gebot«, erklärte Pacquin. »Wir sind verpflichtet zu lieben.«
    »Und Liebe zu stiften«, fügte Dalla Rosa hinzu. »Und über Liebe zu lernen«, flüsterte Horgan.
    Kurt Lukas stand auf und holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank; zum ersten Mal bediente er sich unaufgefordert aus dem Vorrat der Priester. An der Flasche liefen Kälteperlen herunter. Er rieb sie sich auf Schläfen und Stirn, er setzte sich wieder. Die Alten schälten jetzt Bananen. Sie waren ganz bei der Sache. Nur ein Husten oder Plätschern aus der Küche ließ sie das Schälen für einen Moment unterbrechen.
    »Wie sind Ihre Pläne, Mister Kurt?« Es war, als hätten sie ihm alle zugleich die Frage gestellt.
    »Ich habe keine Pläne.«
    »Dann bleiben Sie doch.«
    »Warum nicht.«
    »Fein«, rief Butterworth, »fein. Sie bleiben, und wir lernen von Ihnen.«
    »Sie überschätzen mich.«
    »Oh, wir überschätzen Sie keineswegs« – in den Wangen des bleichen Priesters zirkulierte auf einmal das Blut –, »Sie haben uns sicher manches voraus.«
    Ein abgestufter, siebenfacher Laut tönte herein wie eine hochnäsige, zwischen Zunge und Gaumen erzeugte Empörung, und Kurt Lukas schaute zum Fenster.
    »Nur ein Gecko«, sagte McEllis.
    Die Klappe in der Durchreiche ging zu, leise, aber unüberhörbar, als schlösse jemand mitten in der Nacht ein Kästchen. Horgan ließ den Kopf hinabsinken. Der Superior nahm sein Gebiß heraus. Butterworth häufte sich Konfitüre auf einen Keks und verschlang

Weitere Kostenlose Bücher