Infanta (German Edition)
Schon bildeten sich große Pfützen, wanderten zu Herd und Reissack, ein Fiasko drohte – bis auf einmal kein Wasser mehr floß. Augustin führte das auf seinen Willen zurück und vertiefte sich in die Reparatur. Er kam gar nicht auf den Gedanken, daß jemand das Wasser abgestellt haben könnte, am wenigsten Mayla.
Sie lehnte am Herd. (Beim Wäscheaufhängen war Kurt Lukas wie aus dem Nichts kommend vor ihr gestanden, sein Hemd in der Hand und eine schwarze Brille vor den Augen, und hatte tonlos gelacht, weiter nichts, kein Wort gesagt, nur abgewartet, und sie war in die Küche geflohen.) Mayla nahm sich eine Zigarette und zündete sie leise an; Augustin sang plötzlich während der Arbeit.
Er sang, wie der Mensch nur singt, wenn er sich allein weiß, trällerte und summte und erfand neue Worte, imitierte und parodierte, stöhnte, pfiff und schnippte mit den Fingern. Die Reparatur war soweit beendet, es fehlte nur noch das Wasser. Augustin war jetzt in Hochform. Nachdem er eins seiner Lieblingslieder, Küß mich rasch, angestimmt hatte, pfiff er ein paar geniale Übergangstöne und landete bei Smoke Gets In Your Eyes, so hingerissen von sich selbst und dem Gefühl feinen Rauchs in den Augen, daß es noch etwas dauerte, bis er herumfuhr, im Bruchteil einer Sekunde errötend, verstummend, zerschmettert.
»Ich bin gerade hereingekommen«, sagte Mayla und schleifte den Reissack ins Trockene. Seit Tagen hatte sie kaum geschlafen (Schwester Angel war in ihren Augen schon tot, man würde sie mit durchschnittener Kehle finden). »Du hast also den Hahn repariert. Und ich dachte schon, dieses Getropfe endet nie wieder.« Mayla schleifte auch den Zwiebelsack ins Trockene. »Nach dem, was zu hören ist, sollst du heute noch mehr reparieren.«
Augustin schwieg. Er sah die Überschwemmung und Maylas Füße darin, sah ihre Knie mit den kleinen hellen Narben der Kindheit und einen Streifen ihrer Taille zwischen Bluse und Rock, sah ihre müden, auf ihn gerichteten Augen und einen verbogenen Schraubenzieher in seiner Hand und lief ohne ein Wort aus der Küche. Bis zum Abend hämmerte und sägte er gegen sich selbst an.
Zur Stunde des Drinks stand der Novize vor seiner letzten und kniffligsten Reparatur. Es handelte sich um den Kühlschrank. Dessen Erschütterungen ließen neuerdings Gegenstände von der Anrichte stürzen. Augustin saß am Eßtisch und dachte nach. Die Erschütterungen traten nur ein, wenn sich der Kühlschrank ausschaltete. Ihre Ursache vermutete er in der Tiefe des Generators, von dem er nur wußte, daß es ihn gab. An eine Behebung des Schadens war nicht zu denken, und so entwarf er einen Plan zur Umgruppierung des Mobiliars. Immer wieder schaute er auf, ob ihn auch niemand beobachte. Horgan schien zu schlafen. Dalla Rosa stand mit erhobenem Finger vor dem Varia-Fach. Pacquin schritt seine Route ab, ebenso McEllis, das Wetterbuch in der Hand. Und Butterworth saß mit am Tisch.
Der bleiche Priester schrieb den letzten Absatz des Porträts. »Was trauen wir einem Menschen zu, der so aussieht? Familie? Kaum. Freunde? Eventuell. Disziplin? Bei Bedarf. Talente? Gewisse. Begierden? Dito. Einsamkeit? Vermutlich. Wärme? Eher nein. Zärtlichkeit? Eher ja. Gewalt? Nur gegen sich. Glauben? Zur Not . . .« Der Kühlschrank schaltete sich aus. Die Alten unterbrachen ihre Tätigkeiten; der Novize erhob sich. »Ich brauche Zeit«, erklärte er. Augustin ließ seinen radikalen Plan in der Hose verschwinden und holte die Töpfe, die in der Durchreiche standen.
Es gab den üblichen Reis und den üblichen Fisch, und die Priester beendeten ihre üblichen appetitanregenden Runden. Man betete und setzte sich, man brockte und schwieg, legte dem Gast, der wie üblich noch schlief, den fettesten Fisch zurück und unterbrach das Kauen, sobald der Kühlschrank bebte; nicht das geringste deutete auf ein Abendgespräch hin, welches Butterworth in seinem Brief an Gregorio ungeheuerlich nannte.
»Wir saßen wie immer bei Tisch«, schrieb er noch in derselben Nacht, »nur schweigsamer als sonst. Vielleicht lag es daran, daß ich während der Suppe in mein fertiggestelltes Papier sah; übrigens auch McEllis in sein Wetterbuch, das längst mehr enthält als Vermerke über Niederschlagsmengen etc. Kleine, bis an den Rand vollgeschriebene Zettel kleben zwischen den Seiten; Poeme, Tagebuch – man weiß es nicht. Dann betrat unser Gast den Raum. Er machte den Eindruck eines Menschen, dem klar wird, daß er einen Teil seines Lebens verschlafen
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